Vortrag
„Für immer anders“
Leben an der Seite eines Menschen mit Behinderung. Eine Schwester erzählt - mit und von Dunja Batarilo
Samstag, 25. Februar 2023, 16 Uhr, Haus am Dom
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Dunja Batarilo (Journalistin / Reporterin / Autorin) schreibt zu ihrem Vortrag:
Schätzungsweise 5 Millionen Menschen mit Behinderung leben in Deutschland. Rein statistisch gibt es etwa 1,2 Geschwister für jeden dieser Menschen. Es müssen also jede Menge Schwestern und Brüder von Menschen mit Behinderung in diesem Land leben. Sie helfen, unterstützen, pflegen, beratschlagen, denken, fühlen und kämpfen mit und für ihre Geschwister – oft von Kindesbeinen an. Wo stecken sie? Warum hört man nichts von Ihnen?
Ich selbst bin eines dieser Geschwister. Dass mein großer Bruder das Down-Syndrom hat, war für mich kein Problem. Mein Bruder und ich waren unzertrennlich, ich ließ nichts auf ihn kommen. Die besondere Lage meiner Familie war für mich völlig normal, und wenn überhaupt „anders“, dann höchstens eine Bereicherung. Dass das Familienleben um meinen Bruder kreiste, nahm ich fraglos hin.
Heute bin ich 42 Jahre alt, und seit ein paar Jahren stelle ich immer mehr fest: „Alles super“ war nur die halbe Wahrheit. Als ich Kind und Jugendliche war, gab es in meinem Umfeld noch keine Angebote für „Geschwisterkinder“. Ich kann mich auch nicht erinnern, dass ich gefragt worden wäre, wie es mir „damit“ eigentlich geht. Allerdings: Ich hätte wahrscheinlich auch nur geantwortet: „Super –und meinem Bruder auch.“ Das Gefühl, dass tief drinnen mit mir etwas nicht stimmte, dass ich irgendwie vom anderen Stern war, so ganz anders als die anderen – das war ein Geheimnis, das ich mit niemandem teilte. Denn eigentlich war doch auch alles okay. Wie auch nicht – ich war schließlich gesund.
Viel später erst, im jungen Erwachsenenalter, brachen sich all die Gefühle und Probleme Bahn, die mein jüngeres Ich auch gehabt haben muss: Desorientierung. Angst, Traurigkeit, Schuldgefühle. Ich schlug mich mit Themen herum, die meinen gleichaltrigen FreundInnen fremd waren, und mit denen ich mich zutiefst allein und unverstanden fühlte. Erst als ich vor einigen Jahren auf ein Angebot für Erwachsene Geschwister stieß, stellte ich fest, dass ich mit diesem Wust an geballter unerklärlicher Emotion nicht alleine war, und dass es wohl doch eine Erklärung dafür gab. Plötzlich machte alles Sinn und fiel ins Bild.
In diesem Vortrag möchte ich Einblicke geben in meine Situation als „Geschwisterkind“. Ich möchte die Stärken und Besonderheiten, aber auch die Schwierigkeiten und Schattenseiten beleuchten, die eine derart besondere Familienkonstellation für die Geschwister bedeuten kann. Und bei Geschwistern selbst, aber auch bei Eltern, Großeltern, FreundInnen, PartnerInnen, LehrerInnen etc. dafür werben: Schaut hin – und zwar zweimal.
Über Dunja Batarilo: Ihren Podcast „Für immer anders“ findet man auf allen üblichen Streaming-Plattformen. Der Podcast vermittelt tiefe Einblicke in das Thema „Erwachsene Geschwister“ dadurch, dass Dunja Batarilo ganz unterschiedliche Menschen interviewt hat und im Gespräch auch deren Familiensituationen in der Kindheit Gehör finden.
Kooperation:
- Projekt WIR
- Lebenshilfe Frankfurt
- Haus am Dom