Wunderschön prächtige Unvollkommenheit
„Wunderschön prächtige … liebreich holdselige himmlische Frau“ heißt es in einem der beliebtesten Marienlieder, gern gesungen an jedem 15. August, dem katholischen Hochfest Mariä Himmelfahrt. Kein Wunder also, dass die Liedzeile am Mittwoch die Leinwand im Frankfurter Dommuseum zierte. Wurde hier doch eine frisch restaurierte, nun wieder in leuchtende Farben gekleidete Marienfigur präsentiert, einer der großen mittelalterlichen Schätze aus der Leonhardskirche, Teil eines Heilig-Grab-Altars von 1472, der über die Jahrhunderte im Schutt einer Seitenkapelle verborgen war.
Wenn auch Stadtdekan Johannes zu Eltz die Unvollkommenheit der kleinen Madonna besonders hervorhob, die „kein Bild einer fehlerlosen Heiligkeit“ sei, sondern vielmehr Ähnlichkeit mit den ramponierten Menschen zeige, die ihres Trostes bedürften, so waren Denkmalpfleger und Restauratoren doch beglückt über die Vollständigkeit der Figur. Zwar habe die lange Lagerzeit im feuchten Erdreich dazu geführt, dass sich die farbigen Fassungen auflösten und wie Puder an der Maria hafteten, berichtet Restauratorin Christine Kenner, aber die „hervorragende Qualität der bildhauerischen Arbeit“ sei rasch zutage getreten.
Eine trotzig vorgeschobene Unterlippe
Die gelösten Farbteilchen mussten teilweise unter einer stark vergrößernden Lupe gesichert werden. Doch dass überhaupt Farbe an einer gotischen Steinskulptur erkennbar war, war schon fast ein Wunder. Meist wurde die Farbigkeit, wenn sie nicht mehr der Mode entsprach, radikal entfernt. So aber konnte Kenner die blau, weiß und rot schimmernden Gewandteile ebenso sichern wie das zauberhafte kleine Mündchen mit der etwas trotzig vorgeschobenen roten Unterlippe der Madonna.
Dass die Marienfigur als erste exemplarisch restauriert werden konnte, ist dem Förderkreis St. Leonhard der Freunde Frankfurts zu verdanken. In enger Abstimmung mit dem hessischen Landesamt für Denkmalpflege, dem Denkmalamt der Stadt, dem Archäologischen Museum Frankfurt, dem Bistum Limburg und dem heimatgebenden Dommuseum sorgte er für die nötige finanzielle Unterstützung. Zusammen planen die beteiligten Institutionen auch eine Ausstellung, die im kommenden Jahr zum 800. Geburtstag der Leonhardskirche die herausragende Funde und die Ergebnisse aus fast zehn Jahren Grabung und Restaurierung dieser ältesten und wohl schönsten Kirche auf Frankfurter Stadtgebiet.