Formwandler in schillernden Farben
Wenn Thusjanthan Manoharan, genannt Yahli, sich selbst im Spiegel betrachtet, sieht er in seinem Gesicht die Gleichzeitigkeit des Lebens. Künstler, Schreiber, Rapper. Tamile, Frankfurter, Sossenheimer, Flüchtling. Mann, Sohn, Freund, Partner, Sportler – all diese Identitäten und noch mehr vereint in einem Gesicht, einem Körper, einer Identität. Die eigene Vielseitigkeit abzubilden, das eigene Existieren ins Verhältnis zur Welt zu setzen, sich mit allen seinen kräftigen Farben, darum geht es dem 35-Jährigen, der ab 11. Oktober im Haus am Dom ausstellt.
Yahli bespielt mit rund 40 Bildern alle Etagen des Hauses, sogar das Foyer – und er hätte noch mehr, das auszustellen wäre. Denn der junge Frankfurter Künstler, der an der Hochschule für Gestaltung (HfG) Offenbach studiert, ist eine Art Gesamtkunstwerk. Er malt und zeichnet, sprüht Graffiti, inszeniert Fundstücke auf Leinwänden, manipuliert Scanner mit Spiegeln und Folien, um sogenannte Scanografien zu erstellen, die er anschließend auf LKW-Planen drucken lässt. Er erstellt Grafiken, schreibt Texte, rappt und ist in allem, was er tut, ganz Künstler. Die Botschaft ist ihm wichtiger als das Medium, so dass er aus verschiedenen Varianten des künstlerischen Ausdrucks frei und unbefangen wählt. „Ich habe mich lange gescheut, mich selbst als Künstler zu bezeichnen“, sagt Yahli. Doch irgendwann sei ihm bewusst geworden, dass er sich dieses Label zu Eigen machen darf, genauso, wie er sich der deutschen Sprache bedienen darf, um sich auszudrücken, auch wenn er sie am Anfang seines Lebens hier nicht makellos beherrschte.
Alles kann zu etwas anderem werden
Mit acht Jahren kam Thusjanthan Manoharan mit seiner Mutter aus Sri Lanka nach Deutschland, als Bürgerkriegsflüchtling. „Kunst gemacht“ hat er schon immer, erinnert er sich. Inspiriert von seinem Großvater, Ingenieur und Maler in Sri Lanka, dessen Gemälde von einer Strandlandschaft mit Frauengesicht Yahli bis heute als „unglaublich stark“ in Erinnerung geblieben ist. Als Kind im Flüchtlingsheim wurde er erfinderisch, ließ sich auch von einfachsten Verhältnissen nicht daran hindern, sich auszudrücken: „Ich habe eben das genutzt, was ich hatte, was ich gefunden habe, auch das ging.“ Das Zweckentfremden von Materialien wurde ihm im Lauf der künstlerischen Entwicklung zum Lebensthema. Ein Rollo, das als Leinwand dient. Styropor, Plastik, Gewebefaser von einer Baustelle, achtlos am Straßenrand abgestellter Sperrmüll: Alles kann zu etwas anderem werden, seine Form verändern, noch nützlich sein, ja sogar bewundert.
INFO
Die Ausstellung „Art of Yahli“ ist bis 29. November 2024 im Haus am Dom, Domplatz 3, zu sehen. Der Eintritt ist frei, die Öffnungszeiten sind Montag bis Freitag, 9 bis 17 Uhr, Samstag und Sonntag, 11 bis 17 Uhr, bei Abendveranstaltungen auch länger. Die Vernissage findet am Sonntag, 13. Oktober, 11 Uhr, statt, eine Finissage am Donnerstag, 28. November, 19 Uhr. Hier gibt es weitere Informationen über den Künstler.
Auch Yahli selbst ist ein solcher Formwandler. Flüchtlingsheim, Gewalterfahrung, Jugendeinrichtung, zwei Jahre lang ohne Wohnung – „ich habe früh begriffen, dass ich auf mich alleine gestellt bin“, sagt er über sich selbst. „Aber zum Glück bin ich ein Fuchs und habe immer Wege gefunden, wie es weitergeht.“ Andere würden ihn vielleicht als Überlebenskünstler bezeichnen. Weil er sich keine teure Kleidung leisten konnte, beschloss er schon in der Jugend, muskulös zu werden, denn „einen trainierten Körper hat man immer, ein schickes Hemd zieht man irgendwann aus.“ Sport gehörte seitdem zu seinem Leben, 2018 begann er mit Calisthenics, das sind Übungen, die mit dem eigenen Körpergewicht arbeiten. Natürlich seien seine Muskeln auch ein Panzer, den er sich zugelegt habe, sagt er. Doch auch seine Kunst ist mittlerweile untrennbar mit der Körperlichkeit verbunden: Im Handstand läuft Yahli über seine Leinwände, mit Farbe an den Händen. Er hängt Leinwände an Turnstangen und bearbeitet sie mit farbgetränkten Fußsohlen, macht Liegestütze, arbeitet die Kraft seiner Muskeln in seine Bilder hinein. Zu sehen ist dieser künstlerische Prozess auch in mehreren Videos, die in der Ausstellung präsentiert werden.
Momentaufnahmen von Metamorphosen
Beeinflusst wurde er in seinem Schaffen neben seinem Großvater von Manga-Künstler Akira Toriyama, der stets offen über seine bescheidenen Anfänge gesprochen habe, aber auch von der mexikanischen Künstlerin Frida Kahlo, die ihre Selbstportraits häufig mit Tieren und Pflanzen verband, sowie von Rappern wie 50Cent und Azad. Alle seine Bilder, egal ob große Leinwand, Plane oder kleines Gemälde, und alle seine Texte eint sein großes Thema: dass alles nämlich, jedes Wesen, jeder Gegenstand, jeder Sachverhalt viele verschiedene Facetten und Identitäten hat. Wal und Tapir, Elefant und Löwe, Schlange, Schildkröte und Gürteltier, der ebenfalls aus Sri Lanka eingewanderte grüne Alexandersittich und der prächtige Vogel Strauß gehen in Gesichterstudien des Künstlers als Junge und Mann über – alles existiert in diesen Bildern gleichzeitig, sie sind Momentaufnahmen von Metamorphosen. Entsprechend ist auch sein Künstlername Yahli angelehnt an ein Fabelwesen aus der hinduistischen Mythologie, das Löwe und Elefant zugleich ist. „Wir leben in einer Entweder-Oder-Gesellschaft, ich wünsche mir mehr Sowohl-als-auch“, erklärt er. Dass Yahli häufig die Form des Selbstportraits wählt, hat – neben der Bearbeitung seiner eigenen Identität – auch ganz praktische Gründe: „Wenn ich andere Menschen portraitieren würde, müsste ich fragen, ich möchte nicht übergriffig sein.“
Apropos praktisch: Glücklich schätzt sich das Allround-Talent, dass er mit Partnerin Olga Pfeifer, Freundin Charlotte Werndt und seinen beiden besten Freunden Matthias Striebel und Martin Piekar Unterstützung bei der Organisation seiner Ausstellungen und Auftritte hat. Denn das strukturierte, nüchterne Planen ist vielleicht das einzige Talent, das Yahli nicht in die Wiege gelegt wurde. Bedanken möchte er sich außerdem bei Akademie-Studienleiterin Daniela Kalscheuer, Aida Ben Achour, Alexa Ahmad und dem PME-Familienservice für die Unterstützung bei der Ausstellung.