Kirchenumnutzung / „Sozialer Zusammenhalt braucht Räume“
Im Haus am Dom läuft seit dieser Woche bis zum 17. Mai die Ausstellung „Heilige Räume – Neue Konzepte“. Konkret geht es um die Umnutzung von Kirchen, Pfarrhäusern und Gemeindezentren zu gemeinwohlorientierten und noch stärker caritativ-pastoralen Zwecken, zum Beispiel für gemeinschaftliches Wohnen – ein Thema, das gerade im angespannten Wohnmarkt Frankfurts Entlastung verspricht. Die Ausstellung wurde organisiert vom Netzwerk Frankfurt für gemeinschaftliches Wohnen mit der Katholischen Stadtkirche und der Katholischen Akademie Rabanus Maurus. Thomas Wagner, Studienleiter der Katholischen Akademie, und Birgit Kasper, Geschäftsführende Leitung des Netzwerks Frankfurt, erklären im Interview, worum es genau geht – und warum Veränderungen nur langsam geschehen.
In der Ausstellung werden Best-Practice-Beispiele vorgestellt, bei denen es bereits gelungen ist, kirchliche Immobilien in gemeinschaftlich genutzten Wohnraum umzuwidmen. Dabei fällt auf, dass aus Frankfurt – gleichwohl es hier viele Möglichkeiten gäbe – nur ein Projekt dabei ist. Sind wir in der Stadt so langsam?
Thomas Wagner: Nein, wir sind nicht langsam, aber gut Ding braucht Weile, gerade auch bei Kirchens. Vor acht Jahren haben wir auf Bistumsebene das Projekt „Kirchliche Immobilienstrategie“, kurz KIS, aufgelegt. Diese Immobiliengesamterhebung ist sehr notwendig, weil es bei den rund 1500 pfarrlichen Gebäuden im Bistum Limburg einen immensen Investitionsstau von 500 Millionen Euro gibt. Und mit Blick auf Mitgliederrückgang und pastorale Neuordnung haben wir zu viele Immobilien. Und wir haben weniger Geld. Es muss gespart werden. Aber es gibt bereits im Bistum außerhalb von KIS vorzeigbare Umnutzungsprojekte: In Kelkheim-Ruppertshain wird gerade eine Kirche zur Kita umgebaut und in Martinsthal im Rheingau wurde in Kooperation mit der Kommune eine Kirche umgebaut zu Wohnungen und einem neuen Gemeindesaal.
Wie sind denn die bisherigen Reaktionen auf die Ausstellung?
Thomas Wagner: Sehr gut. Es kommen telefonische und praktische Anfragen aus dem ganzen Rhein-Main-Gebiet, aber auch aus dem Westerwald und den angrenzenden Bistümern Mainz und Fulda. Es gibt in den Pfarreien ein wachsendes Problembewusstsein und den Wunsch nach neuen und alternativen Lösungen für ihre Immobilien zu suchen, auch und insbesondere für soziale Zwecke.
Birgit Kasper: Ja, es gibt zahlreiche Gruppen, die eine Vision von selbstorganisiertem, gemeinschaftlichem Wohnen haben, aber noch auf der Suche nach einer passenden Liegenschaft sind. Für die Pfarreien hätte es viele Vorteile, ihre infrage stehenden Immobilien nicht höchstbietend zu verkaufen, sondern an gemeinwohlorientierte Akteure zu verpachten oder zu verkaufen, die dort einen echten Mehrwert schaffen wollen. Das sind ja Wohnprojekte, die sich am Bedarf des Menschen in unterschiedlichen Lebensstadien orientieren. Für Singles, für Ältere, für Haushalte mit Kindern, teils mit zusätzlicher Wohn-Pflege-Gemeinschaft – mit der Idee, private Bereiche und gemeinsame Räume zu haben, die nach Absprache auch von den Kirchengemeinden genutzt werden können. Die Kirchen müssen sehen, dass es nicht nur ums Geld geht, sondern dass es sinnvoll ist, das beste Konzept zu wählen, von dem die Gemeinde und der Stadtteil profitieren. Sozialer Zusammenhalt braucht Räume und die geeigneten Akteure – ansonsten wird es zum verlorenen Ort.
In der Ausstellung finden sich wunderbare Beispiele: Wohnen in alten Klöstern, alternative, inklusive, milieu- und generationsübergreifende WGs in ehemaligen Pfarr- und Gemeindehäusern, Konzepte mit Gemeinschaftsräumen und einzelnen Zimmern, Gewerberäumen, Gästezimmern und Seminarbetrieb. Ist das überhaupt für eine Stadt wie Frankfurt denkbar oder eher eine Sache fürs Land, wo es ja naturgemäß mehr Platz gibt?
Birgit Kasper: Im städtischen Raum ist wegen hoher Immobilienpreise eine Fremdvermarktung verlockend, andererseits gibt es dort auch viele Menschen, die sich gerne für den Kirchenort z.B. als Wohnprojekt engagieren würden. Im ländlichen Raum braucht es etwas mehr Zeit und Kommunikation, bis sich Akteure finden, die ein solches Wohnprojekt mit Leben füllen, dort sind allerdings auch die Gewinnerwartungen geringer. Wichtig ist für Stadt und Land ein sinnvolles Konzeptverfahren für gemeinwohlorientierte Projekte, so dass diese auf tragfähigen Füßen stehen können.
Thomas Wagner: Für Frankfurt-Sachsenhausen wie für Bad Marienberg im Westerwald oder Kriftel im Rheingau ist der Problemdruck der gleiche – es müssen aber je nach Kontext unterschiedliche wohlüberlegte Umnutzungsentscheidungen vor Ort entwickelt werden.
Der „Leitfaden Wohnen“ der „Projektgruppe Bauen und Wohnen der Katholischen Kirche in Frankfurt“ hat bereits im Herbst 2020 eine Reihe von Vorschlägen gemacht und große Kapazitäten gerade bei kirchlichen Immobilien in Frankfurt gesehen. So richtig passiert ist seitdem zumindest im großen Stil nichts. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?
Birgit Kasper: Es handelt sich ja hier nicht um alte Lagerhallen am Stadtrand, sondern Orte, die einen hohen ideellen Wert haben und die identitätsstiftend für Gemeinden sind. Deshalb überrascht es mich nicht, dass es viele gegensätzliche Interessen und Bedürfnisse gibt. Außerdem ist es eine Herausforderung, einen solch neuen Veränderungsprozess gut zu gestalten. Geht es nur um Schrumpfung oder auch um die Entwicklung für die Zukunft? Und hinzu kommen planungsrechtliche Fragen oder Aspekte wie Denkmalschutz.
Thomas Wagner: Ja, es knirscht im Bistum: Modernisierer wie Bewahrer müssen zu guten Lösungen kommen; die Verwaltung in Limburg wie die Verwaltungsräte vor Ort müssen gut miteinander kooperieren, um Kirche vor Ort neue Gestalten zu geben. Und dies im Rahmen eines großen Schrumpfungsprozesses!
Der Druck im Mietmarkt ist riesig – und hat sich durch die vielen Kriege auf der Welt und Menschen, die schutzsuchend zu uns kommen, weiter verstärkt. Gerade hat das Bistum Limburg angekündigt, 50.000 Euro zur Verfügung zu stellen, um mit kleinen Umbauten kurzfristig Wohnraum für Geflüchtete in kirchlichen Immobilien zu schaffen. Aber so flexibel ist die Kirche doch gar nicht, oder?
Thomas Wagner: Man muss hier unterscheiden zwischen kurzfristiger und schneller Katastrophenhilfe – wie dem schnellen Bereitstellen von Materialien – und langfristigen Wohnprojekten. Ein gutes Beispiel für langfristige Hilfe ist die Casa San Antonio in Rödelheim, ein Projekt der Stadtkirche, in der Menschen aus Spanien und Portugal wohnen können, bis sie fest Fuß gefasst haben in Frankfurt. Die Casa ist eine Erfolgsgeschichte, zeigt aber auch, dass so etwas Zeit braucht.
Birgit Kasper: Ich möchte nicht, dass auf Geflüchtete gezeigt wird, die Ursache ist die verfehlte Wohnungspolitik der letzten Jahrzehnte. Die einzig sinnvolle Lösung ist gemeinnütziger Wohnungsbau, und zwar keiner, der nach 15 Jahren aus der sozialen Bindung herausfällt oder viel Rendite verspricht, sondern Wohnraum, der für alle Zeit nur zum Wohnen da ist. Nur Neubau durch solche Akteure schafft langfristig Beruhigung für den Wohnungsmarkt und sie sind mit ihren ethischen Werten das richtige Bündnis für kirchliche Liegenschaften.
Thomas Wagner: Und zwar idealerweise nicht von oben organisiert, sondern von den Betroffenengruppen und Initiativen von vor Ort selbst. Ich wäre schon glücklich, wenn das nur bei einem Prozent der infrage kommenden kirchlichen Immobilien umgesetzt werden könnte. Besser wären aber natürlich zehn Prozent. Wir brauchen für unsere Zukunftsfähigkeit als Kirche und für unsere Glaubwürdigkeit als Kirche in jeder der neuen Regionen des Bistums je ein Leuchtturmprojekt gemeinschaftlichen Wohnens in einer Kirchenimmobilie!
Begleitprogramm zur Ausstellung
Im Haus am Dom, Domplatz 3, gibt es zur Ausstellung eine Reihe von Begleitveranstaltungen:
29.4.24, 19 Uhr: Vortrag „Sakralräume neu beleben und gestalten. Ideen aus dem Forschungsprojekt Transara“ mit Prof. Dr. Albert Gerhards, Bonn
7.5.24, 19 Uhr: Erfahrungsbericht „Von Denkmalschutz bis Profanierung im Bistum Aachen“ mit Dr. Simon Harrich (Gemeindeberater im Bistum Aachen, Fachbereichsleitung Pastorale Räume), Bernhard Stenmans (Diözesanbaumeister im Bistum Aachen, Fachbereichsleitung Bau und Denkmalspflege), Stefan Muth (Diözesanbaumeister und Bereichsleiter „Ressourcen und Infrastruktur“ im Bistum Limburg)
Den Abschluss macht am 14.5.24, 19 Uhr eine Finissage. Bei dieser werden noch einmal gemeinschaftliches Wohnen und die Umnutzung der kirchlichen Immobilien beleuchtet. In dieser Diskussion geht es um konkrete Vorschläge und Impulse aus dem gemeinschaftlichen Wohnen. Eingeladen sind Beate Steinbach für das Netzwerk Frankfurt für gemeinschaftliches Wohnen, Jörg Beste vom Stadtentwicklungsbüro Synergon, Oliver Leicht (Projektreferent kirchliche Immobilienstrategie im Bistum Limburg), Cornelius Boy vom Evangelischen Regionalverband Frankfurt und Offenbach und Cora Lehnert von der Wohnbaugenossenschaft in Frankfurt am Main eG.
Außerdem sind Vertreterinnen und Vertreter von Kirchengemeinden bei allen Veranstaltungen insbesondere eingeladen, um die Debatte um „ihre“ Kirchen aktiv mitzugestalten.
Der Eintritt für Besuchende ist frei. Anmeldungen sind nicht erforderlich.