Klassenzimmerlesungen: "Das Lesen ist immer der erste Schritt"
Packend und gefühlvoll liest er vor, der Schauspieler, der zur Klassenzimmerlesung in die 8g kommt. Die Kinder werden mitgenommen in die Welt von Sebastian und Katja, Hauptfiguren des DDR-Romans „Verraten“ von Grit Poppe, der für den deutschen Jugendliteraturpreis 2021 nominiert wurde. Beide leben in der DDR in schwierigen Verhältnissen, und der Roman gibt der 8g Einblicke in zwei Leben, die für sie aus einer längst vergangenen Zeit und aus einem kaum vorstellbaren Land kommen.
Diese fremde Welt auferstehen zu lassen, das gelingt Isaak Dentler hervorragend. Der charismatische Schauspieler, bekannt unter anderem aus dem Frankfurt-„Tatort“ und aus dem Theater, hat sich im Rahmen der Reihe „Klassenzimmerlesungen“ im Taunusgymnasium eingefunden und nimmt die Kinder auf begeisternde und sympathische Art mit auf eine Reise in die DDR. Frau Zalud, Deutschlehrerin der Klasse 8g, hat sich um diese Lesung beworben und wurde ausgewählt. Ermöglicht wird die Reihe von Lesungen durch eine Zusammenarbeit der Katholischen Akademie Rabanus Maurus im Haus am Dom in Frankfurt, der Sankt Hildegard-Schulgesellschaft, dem Amt für Katholische Religionspädagogik Frankfurt und dem Jungen Literaturhaus Frankfurt.
Das ist wirklich ein tolles Projekt , es macht mir Freude, mit den jungen Leuten ins Gespräch zu kommen über das Gehörte, das Buch, auch Fantasie, Sprache oder Schauspiel.
Isaak Dentler
Und es ist mehr als eine Lesung: Nach jeder intensiv vorgelesenen Passage aus dem Roman hält Isaak Dentler kurz inne und kommt mit der Klasse ins Gespräch. Über den Inhalt des Buchs, aber auch über interessante Fragestellungen darüber hinaus – etwa, ob man beim Vorlesen seine Stimme verstellen sollte, wenn unterschiedliche Figuren sprechen. Er gibt auch Einblick in seine Lesestrategien, wie er beispielsweise mit einem Buch umgeht, das ihn nicht sofort „packt“. Dann gibt er dem Buch noch drei weitere Seiten eine Chance und liest im Zweifelsfall auch schon mal die letzte Seite, bevor er es aufgibt. Auch die Lesegewohnheiten der Kinder interessieren ihn – ob es Bücher gibt, die sie nicht mehr aus der Hand legen können, da sie unbedingt wissen wollen, wie es weitergeht. Bestimmte Begriffe aus der Welt der DDR bespricht der Schauspieler mit der Klasse ebenfalls: was ein Trabi oder ein Konsum-Laden ist. Hier kommt auch Herr Linke, Klassenlehrer der 8g, als Zeitzeuge ins Spiel und erzählt, wie damals unzählige Pakete aus dem Westen in die DDR geschickt wurden und wie mitgeschicktes West-Geld vor den langen Fingern der Kontrolleure versteckt wurde.
Auch Einblicke in den Beruf des Schauspielers gewährt Isaak Dentler, der am Theater, fürs Fernsehen, für Hörspiele und Computerspiele arbeitet und Schauspielunterricht gibt. Er betont, dass bei seiner Arbeit das Lesen immer der erste Schritt ist – die Bilder, die sonst allgegenwärtig mitgeliefert werden, muss man beim Lesen eines Drehbuchs immer erst selbst vor dem geistigen Auge entstehen lassen. Erst wenn ein Skript bei ihm starke Bilder und Emotionen auslöst, werde es für ihn interessant. An der Schauspielschule sei man zudem immer dazu angehalten worden, nicht nur zu sagen, dass man etwas gut oder schlecht findet, sondern auch zu begründen, warum – und das übt er auch mit den gebannt zuhörenden und mitteilsamen Schüler*innen der 8g.
Die 90 Minuten Klassenzimmerlesung vergehen wie im Fluge; die 8g will Isaak Dentler eigentlich noch nicht gehen lassen und würde sich gerne weiter mit ihm austauschen und seinem begeisternden Vortrag folgen. Und vielleicht haben einige wenige von ihnen ja Feuer gefangen und fangen an, den DDR-Roman von Grit Poppe selbstständig zu lesen und so in eine fremde Welt einzutauchen, die jedoch zur unmittelbaren Geschichte ihres Lands gehört.
Text: Philipp Rauschmayer