27.02.2015
Berichterstattung über NSU-Morde war einseitig
FRANKFURT.- Die Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) ist auch 15 Jahre nach dem mutmaßlich ersten Mord aktuell: Derzeit soll der hessische Landtag klären, was der hessische Verfassungsschutz über den Mord an Halit Yozgat am 6. April 2006 in einem Kasseler Internetcafé wusste.
Die Wahrnehmung der Morde in der Öffentlichkeit wurde seit dem Jahr 2000 maßgeblich von der Medienberichterstattung bestimmt. In der aktuellen Studie der Otto-Brenner-Stiftung „Das Unwort erklärt die Untat“ sind Wissenschaftler jetzt der Frage nachgegangen, ob die Medien bei der Aufdeckung der Hintergründe versagt haben. Am Montag, 23. Februar, wurde sie beim Runden Tisch deutscher und türkischer Journalisten, einer Initiative der katholischen und evangelischen Kirche sowie der Herbert-Quandt-Stiftung, in Frankfurt vorgestellt.
Ein Jahrzehnt in die falsche Richtung ermittelt
„Die Behörden haben mehr als ein Jahrzehnt in die falsche Richtung ermittelt“, betonte die Linguistin und Mit-Autorin Derya Gür-Seger. „Mutmaßungen der Ermittlerbehörden werden in den Medien teilweise als erwiesene Tatsachen dargestellt.“ In den 240 deutschen und 60 türkischen Artikeln über die Mordserie hätten sich die Autoren hauptsächlich auf offizielle Pressestellen berufen oder andere Medien zitiert ? auch über die Landesgrenzen hinweg.
So sei die vom „Spiegel“ 2007 aufgestellte These über eine Verstrickung der Opfer in eine Wettmafia wenig später von türkischen Medien aufgegriffen worden. „Die Berichterstattung war sehr einseitig“, fasste die Professorin Elke Grittmann zusammen, die die Studie gemeinsam mit ihren Kollegen Tanja Thomas und Fabian Virchow durchgeführt hat.
Polizeiliche Quellen in Wort und Bild dominierten, Hinweise zu den Tathintergründen aus dem Umfeld der Betroffenen wurden nicht berücksichtigt. Mit dem von Journalisten geprägten Begriff „Döner-Morde“, der über Jahre die mediale Berichterstattung zuspitzte, wurden die Angehörigen der Opfer nicht als Betroffene kommuniziert, sondern als Teil der „Anderen“ stigmatisiert, ausgegrenzt und teilweise kriminalisiert. Aus vermuteten Verbindungen zur „organisierten Kriminalität“ wurden vielfach Tatsachenbehauptungen gemacht, die Berichterstattung wurde aufgeladen mit Spekulationen über angebliche „Milieus“ und „Parallelwelten“.
Gründe für die unkritische Berichterstattung sieht Grittmann in der starken Belastung vieler Journalisten sowie der starken Fluktuation und dem geringen Migrantenanteil in deutschen Redaktionen. „Die Frage ist auch, ob es an Experten für Rechtsextremismus in den Redaktionen fehlt.“
Mehr Mut zu kritischen Fragen nötig
Wenn Journalisten vor Ort in den Familien der Opfer über mögliche Hintergründe recherchiert hätten, seien diese als „guter und gebildeter Familienvater“, als fleißige Bürger dargestellt worden. Die Artikel von Ismail Erel in der türkischen Zeitung „Sabah“ seien den Wissenschaftler positiv aufgefallen. Dieser hatte früh ein rechtsradikales Motiv bei den Morden vermutet. „Aber wir haben uns selber ausgebremst“, berichtet Erel. „Man fragt vielleicht ein, zwei oder drei Mal nach, ob es ein rechtsradikales Motiv geben könnte. Aber irgendwann denkt man, dass es eh nicht weiter verfolgt wird.“ Neben der kritischen Selbstreflexion der eigenen Arbeitsweisen in der Vergangenheit plädiert der türkisch-stämmige Redakteur dafür, sich in Zukunft nicht abwimmeln zu lassen: „Wir sollten den Mut haben, zu fragen, warum die Akten geschreddert wurden. Und wer wann wovon gewusst hat.“
Runder Tisch deutscher und türkischer Journalisten in Rhein-Main
Der runde Tisch deutscher und türkischer Journalisten entstand 2007 auf Initiative des Journalisten Eckhard Brunn in Zusammenarbeit mit dem Bistum Limburg und der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. Gemeinsam mit der Herbert-Quandt-Stiftung laden die Kirchen alle drei Monate deutsche und türkische Journalisten zu aktuellen Themen ein.
„Wir sehen Medien als Mittel der Integration, deshalb wollen wir Medienvertreter unterschiedlicher Herkunft zusammenbringen“, betont EKHN-Pressesprecher Volker Rahn. Und Joachim Valentin vom Bistum Limburg ergänzt: „Wir wollen die Integration verbessern, indem wir das Wissen voneinander verbessern.“
Neben den Diskussionsrunden haben die Träger auch Reisen in die Türkei und Redaktionsaustausche organisiert. (ekhn/dw)