22.09.2015

"Das Fremde verstehen" in der Medizin

Ethische Herausforderungen im interkulturellem Gesundheitswesen

FRANKFURT.- Um „Ethische Herausforderungen im interkulturellen Gesundheitswesen“ geht es bei der Jahrestagung der Akademie für Ethik in der Medizin e.V. von Donnerstag, 24. bis Samstag, 26. September 2015 im Haus am Dom, Domplatz 3, und im nahe gelegenen Dominikanerkloster, Kurt-Schumacher-Straße 23. Das katholischen Bildungs- und Kulturzentrum Haus am Dom und die Evangelische Akademie Frankfurt laden zusammen mit dem Zentrum für Ethik in der Medizin am Agaplesion Markus Krankenhaus, Frankfurt, zu der Veranstaltung ein. Geleitet wird die Tagung von Dr. Dewi Suharjanto, Studienleiterin der Katholischen Akademie Rabanus Maurus und zuständig für Medizin und Ethik, und Pfarrer Dr. Kurt W. Schmidt, Leiter des Zentrums für Ethik in der Medizin am Agaplesion Markus Krankenhaus und nebenamtlicher Studienleiter der Evangelischen Akademie Frankfurt.

In einem Gesundheitssystem, das allen Menschen Zugang zu denselben Gesundheitsleistungen ermöglichen will, stellt der Umgang mit kultureller und religiöser Verschiedenheit eine große Herausforderung dar. Auf der Jahrestagung 2015 der Akademie für Ethik in der Medizin e.V. sollen ethische Fragen, die sich im Kontext eines multikulturellen Gesundheitswesens stellen, in anthropologischer, theologischer, sozial-/kulturwissenschaftlicher, philosophischer, juristischer und historischer Perspektive neu diskutiert und damit Zugänge ermöglicht werden, „das Fremde“ besser zu verstehen.

Referenten und Programmablauf unter <link http: www.medizinethik2015.de>www.medizinethik2015.de

Förderer der Tagung sind: die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau, das Diakonische Werk für Frankfurt im Evangelischen Regionalverband, die Agaplesion gAG, das Dr. Senckenbergische Institut für Geschichte und Ethik der Medizin der Goethe-Universität Frankfurt am Main und das Gesundheitsamt der Stadt Frankfurt am Main.

Interview mit dem Leiter der Tagung, dem Medizinethiker Pfarrer Dr. Kurt W. Schmidt.

Das Thema „.Das Fremde? verstehen ? Ethische Herausforderungen des interkulturellen Gesundheitswesens“, vor langer Zeit gewählt, ist angesichts der großen Zahl an Flüchtlingen, die in Deutschland eintreffen, aktueller denn je. Welche Auswirkungen hat das auf das Tagungsprogramm?

Dr. Kurt W. Schmidt: Es gab so viele Anmeldungen, dass mit über 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Veranstaltung bereits jetzt komplett ausgebucht ist. Auch sind einige Referenten durch ihre aktuelle Arbeit mit Flüchtlingen in zeitliche Bedrängnis geraten, doch wie es derzeit aussieht, können alle ihre vorgesehenen Beiträge auf der Tagung halten. Aktuelle Erfahrungen werden dann sicherlich einfließen, wenn etwa über die MigrantInnensprechstunde des Frankfurter Stadtgesundheitsamts berichtet wird. Auf jeden Fall bin ich der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau sehr dankbar, dass sie die Tagung sehr unterstützt und gefördert hat und der Kirchenpräsident sie miteröffnen wird.

Wo sehen Sie kurzfristigen Bedarf an Weiterbildung für Krankenhauspersonal, was erhoffen Sie sich langfristig?

 

Das Krankenhauspersonal hat schon lange Erfahrung mit diesen Themen und es ist dabei auch sehr hilfreich, dass das Personal selbst international zusammengesetzt ist. Bedenken Sie, dass von den etwa 1000 Pflegekräften in den Agaplesion Frankfurter Diakonie Kliniken etwa 250 Personen keinen deutschen Pass haben und wenn wir die Personen mit sogenanntem „Migrationshintergrund“ noch hinzuzählen, werden es noch mehr. Das spiegelt insgesamt die Bevölkerungsstruktur in Frankfurt wieder und es ist ein großer Gewinn, wenn wir in den Frankfurter Diakonie Kliniken mehr als 50 Nationen vertreten wissen. Da ist viel Kompetenz in Hinblick auf fremde Sprachen und Gebräuche. Auch in der Aus- und Weiterbildung spielt das Thema für Mediziner und Pflegekräfte seit vielen Jahren eine immer größere Rolle, wie Sie an den Referenten sehen können. Dabei ist man in den letzten Jahren davon weggekommen, feststehende Bilder von einer „Kultur“ zu zeichnen, denn so etwas Starres gibt es letztlich nicht. Kultur ist in hohem Maße auch vom Betrachter abhängig und die Begegnung mit „dem Fremden“ immer auch eine Selbsterfahrung! Im Krankenhaus geht es um „transkulturelle Kompetenz“ und gerade die Pflege hat hier vieles an Fortbildungsaktivitäten unternommen, um zu einer „kultursensiblen Pflege“ zu befähigen. Für die Zukunft steht das „kultursensible Krankenhaus“ auf dem Plan. Das gleichnamige Heft der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration erhält jede Teilnehmerin und jeder Teilnehmer bei der Tagung, denn es enthält wichtige Ansätze zur interkulturellen Öffnung.

Wie steht es aktuell um die Pflege ? in Krankenhäusern oder auch Altenheimen - mit Blick auf religiöse Aspekte?

Das Bewusstsein ist hier vor allem durch die Klinikseelsorge geschärft worden, etwa in Hinblick auf die Einrichtung von Gebetsräumen für Angehörige verschiedener Religionen oder zum besseren Verständnis religiöser Bedürfnisse im Sterben, beim Abschiednehmen und zum Umgang mit Verstorbenen. Bei ethischen Entscheidungen kann Religion eine sehr hilfreiche und entlastende Rolle in Krankenhaus spielen, etwa wenn mit Hilfe von Vertretern der jeweiligen Religion geklärt werden kann, welche Behandlungen vorgenommen werden können. Es kann aber auch zu Konflikten führen, wenn beispielsweise aus religiösen Gründen eine Behandlung abgelehnt wird, die medizinisch lebensnotwendig ist oder eine Maßnahme eingefordert wird, die medizinisch „sinnlos“ ist beziehungsweise aus Sicht des Arztes dem Patienten sogar schadet. Diese Situationen sind schwierig und für alle Beteiligten belastend. Als Ethiker ist man hier als Mediator gefragt und ich selbst habe davon profitiert, mich speziell in „Interkultureller Mediation“ weitergebildet zu haben. Ein zentrales Element dabei ist, der jeweiligen Seite zu verhelfen, die „fremden“ Ansichten des Gegenübers besser zu verstehen. Wenn das vermittelt werden kann, ist schon viel gewonnen.

 

Das Tagungsprogramm beinhaltet sehr weitgehende Fragen, etwa nach dem Umgang mit Pränataldiagnostik oder auch mit dem Sterben. Ist es neben dem „funktionierenden Alltag“ im Gesundheitswesen für die Entwicklung einer interkulturell sensiblen Medizin und Pflege nicht gerade auch wichtig, solche Fragen ? trotz aller aktuellen Anforderungen - im Auge zu behalten?

Selbstverständlich! Ich glaube, das wird durch das Tagungsprogramm auch sehr gut abgebildet. Es ist eine wissenschaftliche Fachtagung, die nicht in allen Punkten sofort auf praktische Umsetzung zielt, sondern an einigen Stellen fünf Schritt zurücktritt und grundsätzlich fragt: Was bedeutet es etwa, wenn jemand aus einem anderen Land mit anderen Wertvorstellungen auf ein Gesundheitswesen trifft, das Pränataldiagnostik anbietet und Menschen vor Entscheidungen stellt, die sie so vorher nicht kannten? Oder was bedeutet es, wenn Angehörige aus Pakistan den Arzt bitten, ihre Mutter nicht über ihren lebensbedrohlichen Krankheitszustand aufzuklären, um ihr nicht die letzte Hoffnung zu nehmen, zumal das in ihrem Land so üblich sei? Auch wenn uns dieses Anliegen so fremd gar nicht erscheint, so wirft es doch grundsätzliche ethische und rechtliche Fragen auf, die mit der Globalisierung verbunden sind und die auf unseren Ethik-Tagungen in der ganzen Welt diskutiert werden. Dabei wächst die Erkenntnis, dass nicht nur im Umgang mit Patienten aus anderen Ländern und Kulturen jeweils genauer zu erfragen ist, welche Wünsche und Wertvorstellungen sie haben, sondern dass dies auch auf Mitglieder des gleichen Kulturkreises zutrifft. „Kultur“ ist nicht starr und einheitlich. Auch mein Nächster ist letztlich ein Fremder. (ERV)

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