17.12.2015

Die Systeme tragen

Aktuelles Forum zur Lage der Flüchtlinge in Frankfurt

FRANKFURT.- Der Umgang mit der Flüchtlingslage in Frankfurt wird von Woche zu Woche professioneller. Dadurch entspannt sich die Diskussion um das, was die Menschen, die oft schwer traumatisiert hier ankommen, brauchen und was von Staat und Gesellschaft geleistet werden kann„ Das ist das Fazit eines Aktuellen Forums des Frankfurter Domkreises Kirche und Wissenschaft zum Thema „Wir schaffen das! Aber wie?“ am Donnerstag, 17. Dezember, im Haus am Dom.  

„Wir hatten eine schwierige Situation im September und Oktober“, betonte die Frankfurter Caritasdirektorin Gaby Hagmans, „aber die Systeme tragen und das beruhigt!“ Zwar sei es immer noch so, dass andere Bereiche der Sozialen Arbeit zurückstecken müssten, weil zur Zeit alle Kraft in die Versorgung und Betreuung der Flüchtlinge fließe, aber es werde erkennbar, dass die Strukturen besser würden. „Im Rhein-Main-Gebiet ist inzwischen auch der letzte arbeitslose Sozialpädagoge eingestellt“, versicherte Armin von Ungern-Sternberg. So großartig und hilfreich das ehrenamtliche Engagement sei, so wichtig sei eine qualifizierte und professionelle Arbeit mit den Flüchtlingen. „Wir können nicht alle Arbeit auf den Schultern der Ehrenamtlichen abladen“, pflichtete ihm Hagmans bei. Gleichwohl seien die Frankfurter Bürger, die sich in den Dienst der Sache stellten, eine große Hilfe, wenn es darum gehe, Vertrauen zu schaffen oder als Übersetzer zu helfen, wie es viele Mitglieder islamischer Vereine derzeit tun.

Versachlichung der Debatte ist hilfreich

Wichtig ist es nach Ansicht von Hagmans, dass die Menschen künftig weniger als Flüchtlinge definiert werden, sondern ihre besondere Bedürftigkeit im Vordergrund steht, etwa als Arbeitssuchende, Wohnungslose oder Analphabeten. Erst dann könnten die Hilfen, die es seit langem in der Stadt für diverse Notleidende gibt, auch für die Neuankömmlinge richtig greifen. Der Sozialpsychologe Ulrich Wagner von der Universität Marburg pflichtete ihr bei, indem er eine Versachlichung der Debatte forderte. Menschen würden auf Fremde zunächst eher mit Neugier als mit Angst reagieren. Deshalb helfe es, über die Flüchtlingssituation positiv zu berichten, um Ängste gar nicht erst zu schüren. 

Einig waren sich die Podiumsteilnehmer, dass Menschen, die dauerhaft in Deutschland leben wollen, sich an Werte wie Gleichberechtigung, Religionsfreiheit oder sexuelle Selbstbestimmung halten müssten. Allerdings dürfe ihnen auch nichts abverlangt werden, was die Deutschen selbst nicht zu leisten bereit seien. „Auch die deutsche Gesellschaft hat ihre Vorurteile, Flüchtlinge dürfen genauso plural sein wie wir“, unterstrich Hagmans. Es bedeute auch Ausgrenzung, wenn die Forderung nach Wohlverhalten immer nur einer bestimmten Gruppe gelte und sich andere nicht angesprochen fühlen müssten, sagte von Ungern-Sternberg, der sich dafür aussprach, ein neues Wir zu definieren. Darin unterstützte ihn Arnd Festerling, Chefredakteur der Frankfurter Rundschau, der betonte: „Wir müssen uns in zehn Jahren daran messen lassen, wie wir mit dieser Herausforderung als Gesellschaft umgegangen sind.“ Saber Ben Neticha vom Vorstand des Deutsch-Islamischen Vereinsverbands Rhein Main e.V. (DIV) unterstrich, dass die Flüchtlinge nach Europa strebten, weil sie die hiesigen Werte von Demokratie und Gleichberechtigung schätzten. Um sie in ihren Heimatländern zu halten, müssten die Fluchtursachen vor Ort bekämpft werden: „Europa braucht eine ehrliche Außenpolitik.“ (dw)

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