19.11.2015
Hochkarätige Sehschule
FRANKFURT.- Das Frankfurter Dommuseum hat sich in eine hochkarätige Sehschule auf Zeit verwandelt: Feinste Zeichnungen, kostbare, 600 Jahre alte Entwürfe, Originalurkunden aus dem Anfang des 15. Jahrhunderts, diffizile Verweise auf Parallelen und Ähnlichkeiten am Mainzer Dom fordern das Auge des Betrachters heraus. Die neue Ausstellung „Madern Gerthener und der Pfarrturm von St. Bartholomäus“, die am Donnerstag, 19. November, im Dommuseum eröffnet wurde, erzählt die Geschichte des Frankfurter Domturms aus ungewohnten Perspektiven.
Der Frankfurter Domturm ist eines der bedeutenden Wahrzeichen Frankfurts. Planung und Bau haben die Stadt rund einhundert Jahre geprägt. Aus dem Stadtbild ist der Turm trotz der imponierenden Hochhauskulisse Frankfurts bis heute nicht wegzudenken. 1415 wurde der Grundstein gelegt, 1514 der Bau nach der Schließung der Kuppel beendet. Nach dem Dombrand von 1867 machte der Dombaumeister Franz Joseph von Denzinger (1821?1894) die Pläne aus der Zeit Madern Gertheners zur Grundlage des Wiederaufbaus. Mittelalterliche Risse, Skulpturen, u. a. vom Memorienportal des Mainzer Doms, und die Dokumentation der neuesten Forschungen zur Entstehungsgeschichte des Domturms zeigen viele Aspekte des Schaffens des großen Frankfurter Stadtbaumeisters Madern Gerthener (um 1365?1430).
600 Jahre Domturm
Am 6. Juni 1415, eine Stunde nach Mittag, wurde in Anwesenheit der Stiftsgeistlichkeit und des Stadtrats der Grundstein zum Domturm gelegt. Das war der Beginn eines Bauprojekts, das die Frankfurter die nächsten hundert Jahre begleiten sollte: mit einem emphatischen Beginn, Finanzierungskrisen, Baustopp, diversen Baumeistern und Architekten, Planänderungen und Kompromissen. Entstanden ist ein Wahrzeichen der Stadt Frankfurt: ein Gebäude, das die Stadtsilhouette unverwechselbar gemacht hat.
Dieses Jubiläum ist der Anlass der kleinen, aber mit hochkarätigen Exponanten bestückten Ausstellung. Im Kreuzgang des Frankfurter Doms werden die historischen Aufrisse des Turms gezeigt. Diese bis zu zwei Meter hohen Planrisse werden im Historischen Museum Frankfurt aufbewahrt und sind fast nie zu sehen, da sie sehr lichtempfindlich sind. Die Risse und die Gründungsdokumente, also der Vertrag zwischen Stadt und Stift und der Bericht über die Grundsteinlegung und historische Grundrisse bilden den Kern der Ausstellung.
Ausstellung als "Sehschule"
Dazu kommen andere Entwürfe Madern Gertheners, seines Umkreises und seiner Nachfolger. Im zweiten Teil der Ausstellung stehen die vier Figuren von der Innenseite des Memorienportals des Mainzer Doms im Mittelpunkt. Hinzu kommen die erst neuerdings erforschten Fragmente des Mainzer Ostlettners, entstanden in der Nachfolge Gertheners. Sie lassen aus unmittelbarer Nähe die Erfindungen Madern Gertheners und die Virtuosität spätgotischer Seinmetzarbeiten deutlich werden. „So versteht sich diese Ausstellung als eine Sehschule“, erläutert Bettina Schmitt, die Direktorin des Frankfurter Dommuseums, die Absicht.
Im dritten Teil stehen den historischen moderne Medien gegenüber. Die im Zusammenhang mit der Turmsanierung erstellten Photogrammetrien ? genaue Vermaßungen ? zeigen exakt, wieviel mittelalterliche Bausubstanz noch vorhanden ist, „mehr als gedacht“, betont Schmitt ? und mit welcher Geschwindigkeit gebaut wurde. Den Steinmetzzeichen kommt hier eine besondere Bedeutung zu.
Madern Gerthener vielfältig in Frankfurt präsent
Die Ausstellung macht deutlich, wie sehr Madern Gerthener die Stadt Frankfurt geprägt hat und dass er noch heute hier präsent ist. „Unser Ziel ist es, die komplexe gotische Architektursprache, der Madern Gerthener eine ganz eigene, organische Prägung gegeben hat, in seinem Sinne erfahrbar zu machen“, so Bettina Schmitt.
Der Katalog zur Ausstellung bietet eine Zusammenfassung der aktuellen Forschungen zum Domturm und zu Madern Gerthener. Ulrike Schubert und Gerhard Ringshausen haben beide 2015 große Forschungsarbeiten zu den Themen publiziert und sind als Autoren bzw. als Kuratorin an dem Projekt beteiligt. In einem leicht lesbaren Texten wird die Frage „Wie baut man einen Turm?“ anhand vieler Illustrationen erläutert. Ein Stadtspaziergang (mit Plan) führt zu weiteren Gebäuden in der Frankfurter Innenstadt, an deren Bau Gerthener beteiligt war. Die berühmten Baurisse des Domturms werden zu den Gebäuden in Beziehung gesetzt und eingeordnet.
Ausstellung „Madern Gerthener und der Pfarrturm von St. Bartholomäus ? 600 Jahre Frankfurter Domturm“
20. November 2015 bis 24. Januar 2016
Dommuseum Frankfurt, Domplatz 3, 60311 Frankfurt
Eintritt 4 Euro, ermäßigt 2 Euro
Öffnungszeiten: Dienstag ? Freitag 10-17 Uhr, Samstag und Sonntag 11-17 Uhr, geschlossen 24./25./31.12.15
Im Begleitprogramm gibt es Vorträge, Turm- und Stadtführungen. Katalog (Schnell + Steiner) 17,95 ?