21.05.2016

Wach, laut und unerschrocken

Bildungsstätte Anne Frank erhält Walter-Dirks-Preis

FRANKFURT.- Die Frankfurter Bildungsstätte Anne Frank ist am Samstag, 21. Mai, im Kaiserdom St. Bartholomäus mit dem katholischen Walter-Dirks-Preis ausgezeichnet worden. Die 1994 als Jugendbegegnungsstätte gegründete Einrichtung setzt eine Vielzahl von pädagogischen Projekten und Programmen zu historischen und aktuellen gesellschaftspolitischen Themen um, mit denen sie ein Bewusstsein für Menschenrechte, Demokratie und Gerechtigkeit schaffen will.

Wach, laut und unerschrocken wie der Hahn, das Symbol des Preises, sei der diesjährige Preisträger, hob der Vorsitzende der unabhängigen Jury, Diözesan-Caritasdirektor Hejo Manderscheid, hervor. Gemäß den Richtlinien der Preisvergabe sei die Bildungsstätte mit ihren 18 Mitarbeitern und 30 Honorarkräften „in wachsamer Zeitgenossenschaft und engagiert für soziale Gerechtigkeit“ aktiv. Allein im vergangenen Jahr erreichte sie mit ihrer Bildungsarbeit ? Workshops, Fortbildungen, Ausstellungen, Beratung zu Rassismus, Antisemitismus oder Rechtsextremismus ? rund 20.000 Jugendliche und 4.000 Erwachsene.  Der Walter Dirks-Preis wird alle zwei Jahre vom katholischen Bildungszentrum Haus am Dom und dem Haus der Volksarbeit verliehen und ist mit 2.500 Euro dotiert.

Gesicht zeigen gegen rechte Ideologien

Am Nachmittag hatte sich die Bildungsstätte mit vier ihrer Projekte vorgestellt: „Kaum zu glauben“, ein Programm, das in Zusammenarbeit mit dem Haus am Dom religiöse Toleranz in Schulen fördern will, „response“, die im Februar eröffnete, erste hessenweite Beratungsstelle für Betroffene von rechter und rassistischer Gewalt, „gemeinsam grenzenlos, ein Mentorenprojekt für junge Flüchtlinge, und „Anne Frank, ein Mädchen schreibt Geschichte“. In einer Podiumsdiskussion verwiesen die Teilnehmer im Anschluss darauf, dass Menschenrechte auch heute noch immer und überall unter Druck seien.

In ihrer Laudatio sprach die frühere Frankfurter Pfarrerin Ulrike Trautwein, die heute Regionalbischöfin der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz ist, von der Notwendigkeit, sich mit Diktatur und Antisemitismus auseinanderzusetzen. Gerade junge Menschen brauchten Orte, wo sie an der Geschichte des Nationalsozialismus ihr moralisches und historisches Gewissen einüben könnten. Die Bildungsstätte helfe bei der Erkenntnis, dass auf Schulhöfen, in Klassenzimmern, in Familien deutlich Gesicht gezeigt werden müsse gegen jedes Wiedererstarken rechter Ideologien.

Gedenken, Wissensvermittlung und Erziehung zur Demokratie

Meron Mendel, der Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, nannte in seinem Dank für den Preis Gedenken, Wissensvermittlung und Erziehung zur Demokratiefähigkeit als die drei Leitsätze seiner Arbeit. „Aus Auschwitz kann man nicht lernen“, unterstrich er, aber an historischen Beispielen ließen sich auch Handlungsspielräume erkennen, Vergangenheit und Gegenwart kritisch hinterfragen sowie Zivilcourage und Gestaltungsfreiheit einüben. Dennoch bleibe diese Art politischer und gesellschaftlicher Bildung eine „enorme Herausforderung“.

Die Erfahrung zeige jedoch, dass Jugendliche unter professioneller Anleitung sehr gut untereinander und miteinander die Geschichte der Shoa verhandeln könnten ? und dabei Fragen an das Hier und Jetzt gleich mit entwickelten. Das Team der Bildungsstätte muss sich laut Mendel immer wieder der Herausforderung stellen, dem von Adorno postulierten Anspruch an Pädagogik, „dass Auschwitz nicht noch einmal sei“, gerecht zu werden ? ohne dabei die Jugendlichen mit vorgefertigten moralischen Gebrauchsanweisungen zu überfordern.

Er freue sich besonders, im Namen des aufrichtigen Antifaschisten und Demokraten Walter Dirks geehrt zu werden, der mit Adorno das Anliegen geteilt habe, die Demokratiefähigkeit der deutschen Nachkriegsgesellschaft zu etablieren ? mittels einer friedlichen und sachlichen Streitkultur sowie der Förderung des Prozesses der freien Meinungsäußerung.

„Wir erleben derzeit einen beispiellosen Anstieg der menschenfeindlichen Hetze sowie der der Angriffe auf Geflüchtete und Migranten“, sagte Mendel. „Vor diesem Hintergrund betrachten wir die Begründung der Jury als besondere Wertschätzung unserer Prävention gegen rechts und unserer Beratung für Betroffene rechter Gewalt ? aber auch als starkes Signal, aktuelle menschenverachtende Tendenzen ernst zu nehmen und ihnen entschieden entgegen zu treten.“

In der Tradition des Frankfurter Sozialkatholizismus

Der Walter Dirks-Preis entstammt der Tradition des Frankfurter Sozialkatholizismus und ist nach dem bedeutenden Journalisten Walter Dirks (1901?1991) benannt. Ausgezeichnet werden Menschen, die im Geist seines Lebens und Arbeitens unkonventionelle Brückenschläge zwischen Konfessionen, Religionen, gesellschaftlichen Kräften und politischen Gruppierungen und Parteien für soziale Gerechtigkeit wagen. Walter Dirks gilt bis heute als Identifikationsfigur für kritische Minderheiten im deutschen Katholizismus der 50er bis 80er Jahre.

Der Preis wurde 1995 von dem mittlerweile verstorbenen Pfarrer Franzwalter Nieten in der Gemeinde St. Gallus ins Leben gerufen. Seit 2010 wird die Auszeichnung alle zwei Jahre vom Haus am Dom und dem von Dirks mitbegründeten Haus der Volksarbeit verliehen. (dw) 

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