05.04.2016

Zuversicht statt irrationaler Ängste

Aktuelles Forum debattiert über Reaktion auf Flüchtlinge

FRANKFURT.- Zuversicht und Vertrauen in die eigene Stärke statt irrationaler Ängste in der Flüchtlingsdebatte: Das ist das Fazit einer Diskussionsrunde beim Aktuellen Forum des Frankfurter Domkreises Kirche und Wissenschaft am Montagabend, 4. April, im Haus am Dom. Der Politikwissenschaftler Claus Leggewie (Essen) und der Wiener Theologe Paul Zulehner plädierten dafür, Wege aus der Angst zu finden und sich auf die „gewaltige Erfolgsgeschichte“ im Blick auf die seit 70 Jahren gelingende Integration von Vertriebenen und Flüchtlingen in der Bundesrepublik und die stabile demokratische Struktur des Landes zu besinnen.

Erstaunlich ist laut Zulehner die große Ambivalenz in der Bevölkerung zwischen Abwehr bis hin zum Hass und Zuversicht mit großem ehrenamtlichem Engagement. „Obwohl alle die gleichen Fernsehbilder sehen, gibt es hier den Heiligen Victor (Orban) und da die Heilige Angela (Merkel)“. Das habe eine Online-Umfrage mit 3.000 Teilnehmern in Österreich gezeigt, die Zulehner für sein neues Buch „Entängstigt Euch!“ genutzt hat. Die Entscheidung zwischen Wut- und Gutbürgern falle, so seine Erkenntnis, auf Grund der jeweiligen Persönlichkeitsstruktur: „Die Angst steckt im Individuum. Damit ist das kein moralisches, sondern ein biographisches Problem.“ Denn je höher der Index für das Angstpotential bei einem Menschen sei, desto größer werde die Abwehr gegen Fremde. Aus dieser Angst herauszufinden und Vertrauen aufzubauen, sei ein lebenslanger Balanceakt.

Ein richtig tolles Land

Auch Leggewie spricht vom „Bohren sehr dicker Bretter“, wenn es darum geht, Aufklärung gegen Ressentiments zu setzen. Gerade in den Sozialen Medien, wo sich der Fremdenhass besonders entlädt, lebten die Menschen in einem „Echoraum“, wo sie nur ihre Vorurteile verstärkende Argumente wahrnähmen. Wer so stark mit Ressentiments aufgeladen sei, sei aufklärungsresistent, unterstrich Leggewie. Auch wer kritisch über Wutbürger und ihre Ängste rede, verstärke diese Angst. Trotzdem gibt es seiner Ansicht nach Wege aus dieser negativen Sicht: „Wir müssen unsere positive Geschichte dagegenstellen. Die Bundesrepublik hat diese Stärke, Fremde zu integrieren, seit Kriegsende bewiesen. Sie hat sich zu einem richtig tollen Land entwickelt, das auch diese Herausforderung bewältigen wird.“

Wie das im Kleinen funktionieren kann, beweist der parteilose Bürgermeister von Neu-Isenburg, Herbert Hunkel, der jedem einzelnen Gerücht über Flüchtlinge in seiner Heimatstadt nachgeht und es mit Argumenten widerlegt. „Wir sind eine Hugenottenstadt, die 1699 von Flüchtlingen gegründet wurde und in der heute Menschen aus 122 Nationen leben. Wir habe eine großartige Willkommenskultur und sind stolz darauf“, betonte er im vollbesetzten Großen Saal des Hauses am Dom. „Das klappt aber nur mit reden, reden, reden. Wir gehen allen Gerüchten nach und stellen sie klar. Das bessere Argument zählt“, so seine Erfahrung in der Kleinstadt.

Weg vom exklusiven Wir-Gefühl

Auch Saba Nur Cheema, Projektleiterin in der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt, setzt auf Gespräche. In ihrer Arbeit mit Schülern und Lehrern brauche es „unendlich viele Diskurse der Entängstigung“. Obwohl es den meisten Menschen in diesem Land gut gehe, gebe es viele irrationale Ängste, denen man geduldig und ausdauernd begegnen müsse.

„Wir sollten dankbar und stolz sein, dass Menschen in Not nach Deutschland kommen, nur 70 Jahre nachdem Deutsche im Zweiten Weltkrieg unendliches Leid über die Welt gebracht haben“, schloss Bürgermeister Hunkel. Dennoch warnte bei allem Optimismus der Politikwissenschaftler Leggewie davor, die Konflikte einer multikulturellen Gesellschaft zu negieren. „Da kann es auch mal hart zugehen“, betonte er. Ohnehin werde „das Wir“ oft überschätzt. „Wir müssen ein neues Wir konstruieren, das inklusiv ist, und wegkommen von unserem oft sehr exklusiven Wir-Verständnis.“ (dw)

 

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