28.01.2017

Durst nach geistlichen Werten

Bischof Radkovsky: Europa erinnert sich seines christlichen Fundaments

FRANKFURT.- Europa wird sich auf sein christliches Fundament besinnen und die eigene Kultur und Identität wieder stärker pflegen. Das hat der ehemalige Bischof von Pilsen, Franti?ek Radkovský, bei einem Domgespräch vor dem traditionellen Karlsamt im Frankfurter Kaiserdom vorhergesagt. Am Samstag, 28. Januar, betonte er im Haus am Dom ebenso wie später in seiner Predigt, nach mehr als 40 Jahren Kommunismus mit politisch verordneten Atheismus in seiner Heimat Tschechien habe sich nach der Öffnung des Eisernen Vorhangs 1989 ganz allmählich ein „Durst nach geistlichen Werten“ verbreitet: „Wo der atheistische Druck am größten war, kehren die Menschen am meisten zurück zum Glauben.“

Radkovský betonte, der Weg führe oftmals nicht direkt zum Christentum, da es eine Vielzahl von spirituellen Angeboten gebe. Aber das christliche Kulturerbe habe einen positiven Einfluss. Deshalb pflege die Kirche in seinem Land das kulturelle Erbe, restauriere Kirchen und Kapellen oder renoviere Wegkreuze, begründe neue Traditionen wie die Sternsinger, lade zu Kirchenmusik oder Kirchenführungen und baue die Bildung in katholischen Schulen aus. Was in Osteuropa seit 25 Jahren wachse, sei auch eine Hoffnung für das säkularisierte Westeuropa, unterstrich der Bischof: „Das braucht viel Geduld und Gebete“, sagte er. Wichtig sei aber auch das Beispiel von Christen, die auf dem Fundament des Evangeliums ein glückliches harmonisches Leben führten.

Mittelalterliche lateinische Gesänge für Kaiser und Stadt

Der 77-jährige Radkovský predigte im Anschluss an das Domgespräch und einen Empfang der Stadt Frankfurt beim Karlsamt, das zum Todestag Karls des Großen im Kaiserdom alljährlich an den Gründervater Europas, der auch Patron der Stadt und des Kaiserdoms ist, erinnert. In dem farbenprächtigen Gottesdienst, zu dem traditionell auch Vertreter der Ritterorden in den Dom einziehen, erklingen mittelalterliche lateinische Gesänge wie die Karlssequenz, ein Lobgesang auf Kaiser und Stadt, und die Kaiserlaudes, in der Huldigungsrufe an Christus mit Bittrufen für Kirche, Papst, Bischof, das deutsche Volk und alle Regierenden verbunden werden. Einen vergleichbaren Gottesdienst gibt es außer in Frankfurt nur in der Karlsstadt Aachen.

Karl der Große gilt als Gründer Europas nach dem Ende des römischen Imperiums. Er starb am 28. Januar 814. Im Jahr 794 hatte er eine Reichssynode nach Frankfurt berufen und so für die erste schriftliche Erwähnung der heutigen Main-Metropole gesorgt. Seit 685 Jahren gedenken die Frankfurter Katholiken immer am letzten Samstag im Januar dieses „Vaters des Abendlandes“ und beten für eine gute Zukunft Europas.

Kaum eine Persönlichkeit hat Europa im frühen Mittelalter so geprägt wie Karl der Große. Er gilt in der Geschichtsschreibung bis heute als großer Politiker und geistiger Vordenker eines vereinten Europas, als Stratege und Reformer der Verwaltung, aber auch als Machtmensch und Unterdrücker. Sein Wirken hat das Schicksal vieler Völker über Jahrhunderte geprägt. Mit einer umfassenden Bildungsreform und der Schaffung von verbindlichen wirtschaftlichen Vorschriften legte er wichtige Grundsteine für die Entwicklung Mitteleuropas im Mittelalter. Sein Reich konnte er aber nur durch gleichermaßen geschickte wie rücksichtslose Machtpolitik aufbauen.

Vom Mathematiker zum Bischof

Radkovský studierte zunächst in Prag an der Mathematisch-Physikalischen Fakultät mathematische Statistik und schloss das Studium mit der Promotion ab. Nach dem Wehrdienst in einer slowakischen Garnison arbeitete er als Statistiker am nationalen Forschungsinstitut der Glasindustrie und später am Pädagogischen Institut der Tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften, wo er sich mit der Reform des schulischen Mathematikunterrichts beschäftigte.

1966 nahm er ein Theologiestudium an der Theologischen Fakultät in Leitmeritz auf und wurde 1970 zum Priester geweiht. Nach 20 Jahren als Pfarrer in Marienbad und später in Franzensbad ernannte ihn Papst Johannes Paul II. zum Weihbischof in Prag. Als das Bistum Pilsen 1993 neu errichtet wurde, wurde er dort zum ersten Bischof ernannt, ein Amt, das er bis zu seinem altersbedingten Rücktritt im Frühjahr 2016 innehatte. Am Nachmittag hatte der Bischof bei einem Domgespräch im Haus am Dom, über seine Einschätzung der Rolle Osteuropas für die europäische Einigung und die Besonderheiten der katholischen Kirche in Tschechien berichtet. (dw)  

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