FRANKFURT, 13.11.2020
LEBEN - eine Ausstellung ohne Publikum
„Dagmar!“, ruft Fotograf Kay Maeritz vom zweiten Stock aus durchs offene Foyer. „Brauchst du noch Schnur?“ „Nein danke!“, hallt von oben eine weibliche Stimme zurück. Sie gehört Illustratorin Dagmar Geisler, die gerade im dritten Stock dabei ist, ihre Collagen zu hängen. „Das Haus am Dom ist so schön offen, da braucht man zur Verständigung kein Telefon“, lacht Maeritz – und macht sich daran, weiter seine Gemälde zu arrangieren.
Die beiden Künstler bauen gerade ihre erste gemeinsame Ausstellung „LEBEN“ auf, die von Montag, 16. November, an im Haus am Dom die Wände schmücken wird. Dabei haben sie die Ausstellungsfläche vom zweiten bis zum vierten Stock untereinander aufgeteilt. Kay Maeritz zeigt Fotografien und bemalte Fotos in kühlen Farben, Dagmar Geisler knallbunte Zeichnungen und Collagen. Die beiden Künstler kennen sich noch aus dem Illustrations-Studium in Wiesbaden, wohnten vor 40 Jahren sogar zusammen in einer WG und zeichneten in der Küche gemeinsam beim Rotwein. Doch ausgestellt haben sie noch nie zusammen – bis jetzt. „LEBEN“ haben die beiden ihre Bilderschau überschrieben, und tatsächlich spannt das Wort ein weites Dach über die auf den ersten Blick sehr unterschiedlichen Werke der beiden.
Eröffnung in besonderen Zeiten
Die Eröffnung findet in besonderen Zeiten statt. Eine Ausstellung aufzubauen, zu der erst einmal keine Besucher kommen können – ein bisschen komisch ist das natürlich schon. „Aber wir hoffen, dass der Lockdown nicht verlängert wird und ab 1. Dezember wieder Leute kommen können“, so Maeritz.

Zum Ende der Ausstellung am 15. Januar 2021 wäre dann eine Finissage denkbar, die die wegen des Lockdowns ausgefallene Vernissage ersetzen könnte. Seinen eigentlich für Sonntag geplanten Vortrag zur Frage, was Glück für die Menschen in verschiedenen Teilen der Erde bedeutet, hält der Fotograf derweil digital, die Aufnahmen werden anschließend zum Podcast verarbeitet.
Schlechtes Timing
Es ist schade, dass die Ausstellung ausgerechnet in den Corona-November fällt, in dem Museen und ähnliche Einrichtungen geschlossen sind und auch ins Haus am Dom kein Publikum darf. Denn Maeritz und Geisler haben mit ihrer Kunst viel zu sagen. Obwohl die Bilder der beiden zunächst so wirken, als hätten sie kaum etwas miteinander zu tun, gibt es auf den zweiten Blick doch viele Gemeinsamkeiten. Zum Beispiel den Fokus auf den Einzelnen, isoliert und doch Teil einer Gruppe. „No man is an island“, fällt dem Betrachter dazu vielleicht ein: „Kein Mensch ist eine Insel“, ein Zitat des britischen Dichters John Donne. Das kann ermutigen, gerade auch in Zeiten von Corona.
Maeritz, der als freiberuflicher Reisefotograf arbeitet, Multivisionsvorträge hält und in Büchern publiziert, hat in Nepals Hauptstadt Kathmandu Menschen in alltäglichen Lebenssituationen fotografiert. So manches blieb dabei dem Moment überlassen, wie die Straßenszene, auf der Mopedfahrer, Autos, Fußgänger und ein Mann auf einem Fahrrad hübsch arrangiert wirken – zusammen und doch allein. Das Bild war ein Zufallstreffer, wie er erzählt: „Das habe ich aus einem Bus heraus fotografiert, der kurz an einer Ampel stehenblieb.“
Viele Gesichter, alles eins
Auch auf den Bildern seiner Ausstellungspartnerin Dagmar Geisler sind immer wieder Gesichter zu sehen, gezeichnete, aber auch aus alten schwarz-weißen Fotografien, die sie in ihren Collagen verarbeitet hat.

Eindrücklich ist eine Gruppe von Portraits, die, wie es scheint, alle unterschiedliche Gesichter zeigen; mal traurig, mal hoffnungsvoll, lächelnd oder mit heruntergezogenen Mundwinkeln und hängender Nase. „Dabei sind das alles Selbstportraits, ich habe immer wieder mein eigenes Gesicht gemalt, das sich in der Fensterscheibe gespiegelt hat“, so die Künstlerin, deren Illustrationen bereits in zahlreichen Kinder- und Jugendbüchern erschienen sind.
Die Schichten der Erinnerung
Eine weitere Gemeinsamkeit ist der Blick fürs Detail. Kay Maeritz zeigt in der aktuellen Ausstellung auch am PC übereinandergelegte Fotos, die er auf Rahmen gezogen und anschließend mit Acrylfarben bemalt hat. Baumrinde und Sträucher, Aufnahmen aus einem Steinbruch, ein Priel am Strand oder die Türme der Deutschen Bank – in seinen Gemälden vermischen sich die verschiedenen Ebenen zu einem neuen Ganzen. Das gelingt auch Dagmar Geisler mit ihren Collagen, die oftmals Zufallsprodukte aus Materialien in ihrer Umgebung sind oder in Anlehnung an Erinnerungsfetzen entstehen. So wie die zartrosa Farbe, die sie auf ein Bild aufgetragen hat, weil genau so die Wände in der Kaserne in Siegen gestrichen waren, in der ihre Großeltern nach der Vertreibung aus Schlesien untergebracht waren. „Ein bisschen wie die Schichten der Erinnerung“, sagt sie.
Weitere Informationen über Kay Maeritz gibt es auf www.kay-maeritz.de, mehr über Dagmar Geisler erfährt man auf www.dagmargeisler.de.