FRANKFURT, 28.10.2020

Neues Frankfurter Netzwerk Erinnerungskultur will Aufarbeitungslücken schließen

Beim Gedenken an den Nationalsozialismus bleibt in Frankfurt noch immer zu viel im Verborgenen. Um das zu ändern haben sich verschiedene Initiativen zu einem Netzwerk zusammengeschlossen.

Das neue Netzwerk hat eine klare inhaltliche Zielsetzung: „Das Opfergedenken hat in Frankfurt eine lange Tradition, aber es gibt Defizite – und die liegen ganz eindeutig in der Täterforschung“, sagte Kulturhistoriker  Alfons Maria Arns bei der Vorstellung des neuen Netzwerks in einer Online-Pressekonferenz am Mittwochvormittag im Haus am Dom.

Mit dem Netzwerk wollen bestehende Initiativen wie das Projekt „Jüdisches Leben in Frankfurt“, die „Initiative 9. November“, die „Initiative Stolpersteine Frankfurt am Main“ und viele weitere Akteure ihre Kräfte bündeln, um künftig gemeinsam an einem Strang zu ziehen. Geplant sind ein „Knowledge Pool“, in dem Informationen zum Thema zusammengeführt werden, ein gemeinsamer Internetauftritt, aber auch ein Erfahrungsaustausch untereinander. Weitere Initiativen und Privatleute, die mitmachen möchten, sind ausdrücklich willkommen. Dabei wünscht das Netzwerk sich explizit auch jüngere Mitstreiter, die die so wichtigen Aufarbeitungsbemühungen in die Zukunft führen. Deshalb freut man sich besonders, dass auch der Frankfurter AStA (Allgemeiner Studierendenausschuss) beigetreten ist.

Rechten Gruppen entschlossen entgegentreten

Dass das Netzwerk gerade jetzt an die Öffentlichkeit tritt, ist kein Zufall. Vielmehr möchte man dem Wiedererstarken rechter Gruppen, das durch Corona noch einmal einen Schub erhalten hat, entschlossen entgegentreten. „Wir möchte ein offenes Netzwerk sein, das die konkrete Auseinandersetzung befördert“, so Dr. Daniela Kalscheuer, Sprecherin des Netzwerks und Studienleiterin in der Katholischen Akademie Rabanus Maurus. Dazu gehört auch, erreichbar für Menschen außerhalb des Netzwerks zu sein, die zu Erinnerung, Täterforschung, aber auch neuen rechten Themen forschen oder kritisch publizieren möchten. „Bei Publikationen können unsere Mitglieder zum Beispiel Erfahrungswerte weitergeben“, sagt Kalscheuer.

Der Zusammenschluss zum Netzwerk ist neu, die Arbeit an sich reicht jedoch zum Teil schon Jahrzehnte zurück. Zum Beispiel die des Forschungsprojekts Jüdische Pflegegeschichte, bei der Pressekonferenz vertreten von Prof. Dr. Eva-Maria Ulmer. Schon seit den 80er Jahren forschen sie und ihre Mitstreiter zum Selbstbild der gehorsamen Schwester, die immer als Opfer galt und die eigene Täterschaft, zum Beispiel an Euthanasie, vertuschte. Ein Aspekt, der zeigt, wie der Blick auf unbekannte Täter gelenkt werden soll. „Wir versprechen uns von dem neuen Netzwerk, eine größere Breite von Personen zu erreichen“, sagte Prof. Ulmer bei der PK.

Fast nicht möglich, kein Täter zu werden

Auch zur sogenannten „Arisierung“ Frankfurts wird schon lange geforscht – eine nationalsozialistische Wortschöpfung, die die Aktivisten ganz bewusst nutzen. Das Wort beschreibt die gewaltsame Verdrängung von Juden aus ihren Berufen, aber auch die erzwungene Übertragung von Rechten und Eigentum an nichtjüdische Deutsche. Zum Beispiel Gebäude, wie Stadthistoriker Dieter Wesp ausführte. So habe er bei seiner Recherche eine Liste finden können, auf der 170 Immobilien aus vormals jüdischen Besitz genannt sind, die der Stadt Frankfurt überschrieben wurden.

Zwar werde sich in den Schulen kritisch mit den Geschehnissen auseinandergesetzt, aber die Themen kämen nicht richtig in den Familien an, sagte Sprecherin Daniela Kalscheuer. Doch gerade die Familien sind es, in denen eine ergebnisoffene Aufarbeitung nötig wäre. Denn für den „normalen Frankfurter“ sei es fast nicht möglich gewesen, kein Täter zu sein, meinte Kalscheuer in der Einführung zur PK. „Die Angebote waren einfach sehr verlockend. Denken Sie nur an die sogenannten Juden-Auktionen, in denen das Hab und Gut aus der Arisierung verhökert wurde. Viele Familien haben profitiert durch den Erwerb günstigen Eigentums.“ Deshalb sei es wichtig, Fragen Inneren der Familien zu stellen, so Kalscheuer. „Zum Beispiel, wie gehe ich damit um, dass das Erbstück, das angeblich schon immer da war, sich tatsächlich erst seit 1938 in Familienbesitz befindet?“

Nun, da das Netzwerk sich öffentlich vorgestellt hat, sind jährlich stattfindende Symposien geplant, auf denen die Arbeit der Initiativen sichtbar werden soll. Den Anfang macht die schon jetzt ausgebuchte zweitägige Veranstaltung „War da was? Frankfurt im Nationalsozialismus“ am kommenden Freitag und Samstag (30. und 31. Oktober) im Haus am Dom, die auch per Livestream (www.youtube.com/hausamdom) übertragen wird.

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