Frankfurt, 21.09.2020

Räte der Religionen diskutieren über Hass und Hetze

Der Frankfurter Vorsitzende Prof. Valentin berichtet, wie er den ersten digitalen Bundeskongress erlebt und was er daraus mitgenommen hat.

„Woher kommt der Hass?” Diese Frage stellte der Politikwissenschaftler und Psychologe Prof. Thomas Kliche jüngst in seinem Fachvortrag beim Bundeskongress des Rates der Religionen. Vertreter und Vertreterinnen aus den Religionsräten vieler bundesdeutscher Städte treffen sich jährlich zum Austausch. In diesem Jahr war der Initiativkreis der Stadt Essen Gastgeber, allerdings konnten die 69 Teilnehmer aus 32 Städten wegen der Corona-Pandemie "nur" digital tagen. Prof. Joachim Valentin, Direktor des Hauses am Dom und Vorsitzender des Rates der Religionen Frankfurt, berichtet im Interview, wie er den ersten digitalen Bundeskongress erlebt und was er aus dem Fachvortrag mitgenommen hat.

Herr Professor Valentin, was sind die derzeit drängendsten Themen des Bundeskongresses?

Entscheidend ist für uns, den für den Zusammenhalt in unserer Republik wichtigen interreligiösen Dialog vor Ort zu stärken. Dafür ist es ungemein hilfreich, wenn es auf kommunaler Ebene eine zentrale Institution gibt, in der sich die großen und kleinen Religionen vor Ort regelmäßig treffen, um gemeinsam über ihre Religionen zu sprechen und diese zu praktizieren, Konflikte fair anzusprechen und zu lösen. Uns ist es wichtiges Anliegen, die Gründung solcher Räte oder Foren vor Ort zu unterstützen. Überall ist natürlich das Covid19-Virus eine schwere Belastung für die Gemeinden und Räte vor Ort, finanziell und was das soziale Miteinander angeht. Darüber hinaus ist das Wachsen der Polarisierungen, des Antisemitismus und des Rassismus für alle Religionsvertreter, die häufig eine Migrationsgeschichte haben, eine ernsthafte Bedrohung. Zugleich braucht es aber gerade das Engagement der Religionsgemeinschaften für den kommunalen Frieden, wenn wir die Tendenz zur Abwertung der jeweils anderen ernsthaft überwinden und überall ein neues Miteinander, ein neues „Wir“ entwickeln wollen.
 
Im Impulsvortrag von Gastredner Prof. Dr. Kliche ging es um die Frage, woher Hass kommt. In Zeiten, in denen rechte Parteien sich über wachsende Wählerzahlen freuen, ein Thema von hoher Wichtigkeit. Wie kann Religion diesem Hass entgegentreten?
Der Hass kommt von der wachsenden Unübersichtlichkeit unserer Gesellschaften und der konkreten Bedrohung, die prekäre Arbeitsverhältnisse, eine hohe Pluralität in den Gemeinden und das Abnehmen von Gelegenheiten, sich in funktionierenden sozialen Zusammenhängen kennenzulernen und miteinander zu leben, mit sich bringen. Der Referent hat uns aber auch darüber informiert, dass die wachsende Frauen-Emanzipation viele Männer in eine Rollenunsicherheit stürzt und sie zum Hass gegen Frauen und Migrantinnen (und Migranten) stimuliert. Klassische Rollenbilder und Weltordnungen geraten ins Wanken, die Tendenz, dafür Schuldige zu suchen, anstatt sich selber an der Lösung der Probleme und einem neuen Miteinander zu beteiligen, ist leider bei einer lauten, zur Zeit zum Glück wieder kleiner werdenden Minderheit unserer und anderer Gesellschaften ausgeprägt.
 
Aufgrund von Corona fand der Bundeskongress diesmal digital statt. Wie haben Sie den Austausch im Vergleich zu einem persönlichen Treffen erlebt? Was fehlte, was hat Sie positiv überrascht?
Natürlich ist es schöner, an einem lauen Spätsommerabend an einem repräsentativen Ort, wie im letzten Jahr dem Hannoveraner Rathaus, gemeinsam zu essen und zu trinken und sich informell auszutauschen. Auch die Möglichkeit, sich wie in den letzten Jahren ausführlich zwei halbe Tage Zeit zu nehmen, um in Ruhe etwa kollegiale Beratung zu lokalen Problemen leisten zu können oder gemeinsam zu beten und zu singen, hat uns in diesem Jahr gefehlt. Aber die gute technische Unterstützung unter anderem durch unsere Frankfurter Geschäftsführerin Sarah Wohl und die Bereitschaft aller fast 70 Konferenzteilnehmerinnen und -teilnehmer hat dazu beigetragen, dass wir in einen guten Austausch kamen, vom Magdeburger Professor viel gelernt haben und uns in drei Arbeitskreisen zielgenau austauschen und Pläne für die kommenden zwölf Monate schmieden konnten.

Einige Räte der Religionen wollen künftig städteübergreifende Arbeitsgemeinschaften gründen – zum Beispiel, um die Zusammenarbeit mit Schulen zu stärken. „Religion und Verschiedenheit spielt auf jedem Schulhof eine Rolle“, betonte Hamideh Mohagheghi, eine der Sprecherinnen des Rates der Religionen Hannover. „Daher hören die Jugendlichen mit außergewöhnlich großem Interesse zu, wenn wir in Schulen gehen.“

Sichtbarkeit und Kontakt zur Bundesebene verbessern

Was die Räte der Religionen in ihren Städten leisten, wird zunehmend auch auf Landes- und Bundesebene sichtbar und anerkannt. „Wir nehmen ein steigendes Interesse der Bundespolitik am Bundeskongress der Räte der Religionen wahr“, sagte Wolfgang Reinbold, der Vorsitzende des Hauses der Religionen in Hannover. „Es ist daher an der Zeit, dass wir uns eine klare Struktur geben. Der diesjährige Kongress hat dazu wichtige Impulse gegeben.“ Als erster Schritt sei die Bestimmung von Sprechern und Sprecherinnen angeregt worden, die den Bundeskongress nach außen vertreten und jederzeit für Interessierte ansprechbar sind.

Der nächste Bundeskongress der Räte der Religionen soll am 12. und 13. September 2021 in Essen stattfinden. Weitere Informationen zum Bundeskongress der Räte der Religionen: www.bundeskongress-religionen.de

Über den Bundeskongress Räte der Religionen

In vielen Kommunen und Landkreisen wurden in den letzten Jahren Räte der Religionen und vergleichbare Strukturen gebildet (z. B. Runde Tische der Religionen, Foren der Religionen). Typischerweise vernetzen sie die Religionsgemeinschaften, fördern den Dialog mit der Kommune und der Gesellschaft, organisieren Veranstaltungen der interreligiösen Bildung und Begegnung, vermitteln bei Konflikten, nehmen Stellung zu gesellschaftspolitischen Themen und anderes mehr. Die Organisationsformen der Gremien unterscheiden sich von Ort zu Ort. Sie hängen zusammen mit Faktoren wie der Entstehungsgeschichte des Gremiums, der lokalen religiösen Landschaft und dem Engagement der beteiligten Akteure und Akteurinnen. So sind manchmal auch humanistische Verbände beteiligt.

Der Bundeskongress der Räte der Religionen wurde 2017 von den Räten in Hannover und Frankfurt am Main initiiert. Der erste Bundeskongress fand 2018 in Frankfurt statt, der zweite 2019 in Hannover. 2019 verabschiedeten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer eine gemeinsame Erklärung, die das Verhältnis der Räte der Religionen zur Gesellschaft grundsätzlich bestimmt und ein deutliches Bekenntnis zu den Werten des Grundgesetzes formuliert. Aktuell vernetzt der Bundeskongress der Räte der Religionen Einrichtungen aus über 40 Kommunen und Landkreisen.

Zum Anfang der Seite springen