FRANKFURT, 14.10.2022
Die bitterbunte Seele des Friedens
Die Intensität der Geschichten, mit denen Rafael Herlichs neue Ausstellung im vierten Stock des Hauses am Dom beginnt, ist kaum auszuhalten. Ein Holocaust-Überlebender, beim Gebet in der Synagoge fotografiert. Ein aus der Ukraine geflüchtetes Mädchen, das sich blau-gelbe Wolle in die Haare geflochten hat und voller Stolz in die Kamera lächelt, obwohl es fast alles verloren hat. Ein Überlebender von Hanau, der sich 2020 während der Attentate unter einem Tisch versteckte und deshalb überlebte. Und ein Leichtathlet, der 1972 die Geiselnahme von München während der Olympischen Spiele überstand – nachdem er bereits den Holocaust überlebt hatte. „Shaul Ladany ist ein guter Bekannter von mir. In München hat er mir erzählt, dass er diesen Anzug mit dem breiten Revers nur einmal getragen habe – damals, 1972. Und seitdem nie wieder“, sagt Rafael Herlich.
Ab Montag zeigt der Frankfurter Fotograf seine neue Ausstellung im Haus am Dom. Unter dem Titel „Gesicht zeigen gegen Rassismus und Antisemitismus, für mehr Miteinander“ sind 38 Fotografien im Format 60x90 zu sehen. Dabei gibt Herlich durch die Linse seiner Kamera Einblicke in Lebenswelten, die wie nebenbei die großen Verursacher von Diskriminierung einfangen. Denn viele der Menschen, die sich in der Ausstellung klar gegen Hass positionieren, haben Ausgrenzung selbst erfahren: Wegen ihres Geschlechts, ihrer Religion, Herkunft, Behinderung, ihrer sexuellen Orientierung. Es sind wunderbar ausdrucksstarke Portraits ganz unterschiedlicher Menschen. „Durch meine Arbeit möchte ich zeigen, dass Juden, Christen, Muslime sich gleichermaßen gegen den Hass stellen und zeigen: Gemeinsam sind wir stark“, sagt Herlich, der hofft, damit eine Botschaft des Friedens senden zu können.
Damit ein schönes Leben gelingt
Der Fotograf, der bereits zum vierten Mal im Haus am Dom ausstellt, zeigt einen Rabbi neben einer evangelischen Pfarrerin, er zeigt eine afghanische Braut und einen afrikanischen Verkäufer, TikTok-Gruppen und einen Travestiekünstler, Polizisten und Sportler des jüdischen Turn- und Sportverbandes Makkabi Deutschland, Promis und Menschen, die nicht weiter bekannt sind. Die Ausstellung zieht sich vom vierten bis in den ersten Stock. In der Lichtgalerie im zweiten Stock sind vier Fotografien von Kindern zu sehen. Ein Religionsschüler, ein Mädchen beim Chanukka-Fest im Kindergarten, die Tochter eines Bekannten, die einen Stolperstein poliert, ein zwölfjähriges Mädchen bei seiner Bat Mitzwa. „Diese Kinder, alle Kinder möchten ein schönes Leben in Frieden haben“, sagt Herlich. „Dafür, dass das gelingt, sollten wir uns als Gesellschaft einsetzen.“
Viele der Fotos sind spontan entstanden, andere wiederum hat er länger vorbereitet. So wie das Bild der beiden Männer aus der Sikh-Gemeinde, die er mit ihren farbigen Kopfbedeckungen vor dem Brandenburger Tor fotografierte. Überhaupt sind viele der Fotos diesmal in Berlin entstanden, einige auch in Straßburg, auch in Frankfurt und Jerusalem. „Wenn ich irgendwo ankomme, gehe ich die Synagoge, in die Moschee oder Kirche und frage die Geistlichen, ob es jemand besonderen in ihrer Gemeinde gibt – so entstehen die Kontakte“, erzählt der Fotokünstler, dem seine Unabhängigkeit wichtig ist.
Herlich wurde 1954 in Tel Aviv geboren und lebt seit 1975 in Frankfurt. Bisher veröffentlichte er sechs Bildbände, unter anderen über Jüdisches Leben in Deutschland von heute und über Diversität in Frankfurt (DiverCity FFM).
Die Vernissage findet statt am Montag, 17. Oktober 2022, 18.30 Uhr. Die Ausstellung läuft bis zum 13. November. Der Eintritt ist frei. Das Haus am Dom, Domplatz 3, ist Montag bis Freitag von 9 bis 17 Uhr, Samstag und Sonntag von 11 bis 17 Uhr geöffnet (bei Abendveranstaltungen auch länger).