FRANKFURT, 14.02.2022

Menschenwürde bemisst sich nicht an der Leistungsfähigkeit

Beim Ärztetag in Frankfurt hat Bischof Georg Bätzing mit deutlichen Worten die Neuregelung der Sterbehilfe kritisiert.

Mit deutlichen Worten hat Bischof Dr. Georg Bätzing erneut die Entscheidung des Bundesverfassungsgericht aus dem Frühjahr 2020 kritisiert, die das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung aufgehoben hat. Für die Neuregelung mahnte er klare Prinzipien an. Das Bundesverfassungsgericht begründe die Neuverhandlung des bisherigen §217 StBG mit der Sorge; dass selbst die medizinische und palliativmedizinische Behandlung nicht sicherstellen könne autonomiefeindlich zu sein: „Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben erfährt auf diese Weise eine erstaunliche, aber meines Erachtens gefährliche Aufwertung“, sagte der Bischof von Limburg und Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz beim 14. Ärztetag am Dom im frankfurter Haus am Dom. Am Samstag, 12. Februar beschäftigten sich Ärztinnen und Ärzte mit dem Thema „Assistierter Suizid“ und nahmen eine Positionsbestimmung dazu vor.

Bezugnahme auf Spiritualität wird gemieden

Bischof Bätzing teilte mit der Ärzteschaft seine theologische Beobachtung zum Thema: „Ich nehme wahr, dass viele Befürworter des Rechts auf Sterbehilfe die Bezugnahme auf Spiritualität und Fürsorglichkeit geradezu meiden. Sie sprechen von Toleranz und sehen sie nur dort garantiert, wo der Staat seine weltanschauliche Neutralität wahrt und nicht in den Verdacht kommt, paternalistisch zu bevormunden“, sagte Bätzing. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts erwecke den Eindruck, dass das Recht auf selbstbestimmtes Sterben in die innerste Mitte der gesamten Architektur der Freiheits- und Persönlichkeitsrechte der Verfassung führe. „Ich frage mich: Dürfen Rechtstexte nicht nachdenklicher geschrieben sein?“, so der Bischof. Er habe die Befürchtung, dass ein Paradigmenwechsel in der Gesellschaft bereits begonnen habe. Dies meint er nicht als Angriff auf die Integrität der Gerichte. Natürlich erkenne er das Abstinenzgebot an, das der Pluralität von Wertevorstellungen in der Gesellschaft geschuldet ist. „Wenn aber zwei der Beschwerde führenden Personen zur Kenntnis geben, sie hätten keine Freunde oder Verwandte, die ihnen (im Rahmen der bestehenden Gesetzgebung straffrei) Suizidhilfe geben könnten, kommen in mir nachdenkliche Fragen auf, die nichts mit Übergrifflichkeit, aber viel mit unserem menschlichen Miteinander in unserer Gesellschaft zu tun haben“, stellte der Bischof klar. Sie lehnten Palliativeinrichtungen oder Pflegeheime ab, weil dies ihren Vorstellungen von Würde nicht entspreche. Dennoch habe das bloße Wissen um die Hilfszusagen der Sterbevereinigungen ihnen mehrfach geholfen, leidvolle Situationen durchzustehen.

Raum schaffen für die vielen Fragen, die hinter dem Ruf nach Hilfe stehen

Bätzing frage sich, wo der Raum für Menschen, die des Lebens müde sind, sei um sich mitzuteilen? Und wo der Raum sei, in dem die Zusage bestehe, ich bin und bleibe bei Dir alle Tage? Dies können seiner Auffassung nach nicht nur noch Sterbevereinigungen sein. Vielmehr sei es die Aufgabe der Seelsorgerinnen und Seelsorger im Gesundheitssystem, Raum zu schaffen für die vielen Fragen, die hinter dem Ruf nach Hilfe stünden. „Damit versuchen wir, den Medizinerinnen und Pflegepersonen zur Seite zu stehen, die sich diesen Rufen ebenfalls stellen. Gerade im Bereich der Palliativmedizin kommen hier die verschiedenen Expertisen zusammen, um Patienten ganzheitlich zu begleiten“, so Bätzing. Das Anwachsen von Sterbevereinigungen auf der anderen Seite beweise, dass christliche Spiritualität, die christlich motivierte ars vivendi und ars moriendi gesellschaftlich neu verankert werden sollte.

„Es ist wie bei der Debatte um die Impfpflicht. Dass die Menschen ihre Freiheit vor allem als „Freiheit von“ Fremdbestimmung definieren, zeigt, dass sie eine „Freiheit zu“ inmitten eines Gemeinwohls nicht mehr leben können“, sagte der Bischof. Die ars vivendi, die Kunst zu leben, sei christlich gewendet immer eine Kunst des Zusammenlebens und der gegenseitigen Verantwortung der Lebensbejahung. Dies gelte es vorzuleben. Christinnen und Christen sollten dafür einstehen, dass sich der Wert einer Person nicht an ihrer Leistungsfähigkeit bemesse und dass Würde, gerade aufgrund der Unverfügbarkeit unserer Existenz, vom Anfang bis zum Ende, ja sogar darüber hinaus, reiche.

Bischof Georg Bätzing nutzte den Ärztetag auch, um der Ärzteschaft für ihren Dienst in der Pandemie zu danken.  „Sie die Ärzte und Ärztinnen, waren von der ersten Stunde der Pandemie an im Rahmen Ihres Dienstes an der Seite der Hilfsbedürftigen und Verunsicherten, der Kranken und ihrer Angehörigen“, lobte Bätzing.

Stephan Schnelle

Pressesprecher

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