FRANKFURT, 17.05.2024

Eine permanente Provokation

Vier Weggefährten von Walter Dirks haben an sein politisches und publizistisches Wirken erinnert. Was hätte der große Frankfurter Publizist, der 1991 starb, zu den Fragen der heutigen Zeit zu sagen? Darum ging es beim jährlichen Walter-Dirks-Gedenken auf Einladung der Katholischen Akademie und des Hauses der Volksarbeit.

Skepsis, Prinzipientreue, Haltung, Mut – all das sind Attribute, die Wegbegleiter dem Frankfurter Publizisten, Pazifisten und Sozialisten Walter Dirks zuschreiben. Zwar starb Dirks, der jahrzehntelang politisch schrieb, bereits 1991. Doch er hat uns auch für heutige Themen noch einiges zu sagen. Das wurde beim jährlichen Walter-Dirks-Gedenken, das diesmal als Abendveranstaltung im Haus der Volksarbeit stattfand, deutlich. Dirks nimmt seit Jahrzehnten eine große Bedeutung im katholischen Frankfurt ein, dafür sorgen die Katholische Akademie Rabanus Maurus und das Haus der Volksarbeit, das Dirks einst initiierte. Alle zwei Jahre wird der Walter-Dirks-Preis verliehen, dazwischen gibt es einen Vortragsabend, bei dem über aktuelle Aspekte seiner Arbeit diskutiert wird. Diesmal stand die Veranstaltung unter dem Titel „Walter Dirks – Publizist des 20. Jahrhunderts, katholischer Antifaschist mit sozialistischem Programm“.  

„Natürlich sollten wir nicht die historische Distanz vergessen, Walter Dirks ist 33 Jahre tot und ein Autor des 20. Jahrhunderts, heute gibt es andere Fragen als damals“, sagte Prof. Dr. Ulrich Bröckling, Kultursoziologe an der Uni Freiburg, der als junger Mann viele Jahre für Dirks gearbeitet hat und schließlich ein Freund wurde. Aber: „Das, wofür er stand, lässt sich in gewisser Weise schon auf heute übertragen. Auch heute braucht es genaues Hinsehen und Sagen, was ist.“ Denn nur durchs Sagen verstehen auch andere, mit welchen Absichten politische Entscheidungen getroffen werden – und für wen und an wem vorbei.

Bewegen lassen von sozialer Ungerechtigkeit

Bröckling nennt das „nicht Moralismus, sondern dieses Moment einer Ethik der Situation“. Und ja, durchaus auch mit biblischem Bezug zum Samaritergleichnis: „Betroffen zu sein von konkreten Situationen, Diskriminierung, Ausbeutung, dagegen tätig eingreifen.“ Man müsse sich von sozialer Ungerechtigkeit bewegen lassen und bei weltpolitischen Themen Stopp rufen, wo es geboten sei – so wie Dirks zum Beispiel bei der atomaren Aufrüstung, gegen die er sich in den 1960er Jahren klar positionierte und die auch heute wieder Thema ist.

Bröckling war einer der geladenen Gäste bei der gut zweistündigen Gedenkveranstaltung, bei der Zeitgenossen von Walter Dirks über dessen Philosophie und Haltung diskutierten. Auf dem Podium saßen außerdem Lutz Lemhöfer, Theologe und Publizist aus Frankfurt, sowie Dr. Thomas Seiterich, Theologe und Publizist aus Ulm. Kurzfristig mit dazu kam Ulrich Jaekel, Hochschulpfarrer, Zeitzeuge und Mitstreiter von Dirks.

„Ich kenne ihr Leid“

Bröckling gab einen umfangreichen Überblick über das Leben und Wirken des bekannten Publizisten, der 1901 im heutigen Dortmund geboren wurde und als einer der prägendsten Intellektuellen der Weimarer, Adenauer und Bonner Republik gilt. Jaekel, der bei der Katholischen Hochschulgemeinde (KHG) aktiv war, kennt Dirks aus diesen Zusammenhängen, denn dieser trat dort auch oft gemeinsam mit seinem engen Freund und Genossen Eugen Kogon auf. Jaekel las im Haus der Volksarbeit längere Dirks-Zitate vor und unterstrich, dass der Publizist durchaus auch Theologe war. Deshalb habe er ein theologisches Handlungsmotiv gehabt. „Er hat sich nach dem Buch Exodus 31 und 32 gerichtet: ,Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen und ihre laute Klage über ihre Antreiber habe ich gehört. Ich kenne ihr Leid.‘“

Dr. Thomas Seiterich strich vor allem die schier nie versiegende Hoffnung von Walter Dirks hervor, für die er gern Zitate französischer Schriftsteller herangezogen habe – und die damals wie heute ein guter Ratgeber ist. „Seine Haltung war: Wir setzen drauf, dass es wieder gut wird. Dieses Festhalten an der Hoffnung war für ihn Emotion und Herzenskern.“ Dem schloss sich Theologe Lutz Lemhöfer an mit einem Zitat von Walter Dirks selbst: „Hoffnung ist, auf die gute Karte zu setzen, die zwar nicht gewiss ist, aber eine Möglichkeit.“

„Es ist nötig!“

Nach der zweistündigen Veranstaltung stellte ein Besucher fest: „Dirks hat uns auch heute noch viel zu sagen, in einer Zeit, in der Räume sich verengen und Leute in eine Moralistenecke abgedrängt werden, die etwas dazu sagen. Es ist eine Herausforderung, dieses Gedenken in eine neue Form zu überführen, die Aktuelles aufgreift, aber nötig!“ Das sieht auch Julia Wilke-Henrich, Geschäftsführerin im Haus der Volksarbeit, so: „Uns alle beschäftigt derzeit die Frage, wie wir die Demokratie schützen können. Ein Ansatz ist, sich ihrer Wurzeln zu vergewissern – unter anderem, indem wir gedenken.“

„Der katholische Publizist und Linksintellektuelle Walter Dirks war in der katholisch-konservativen Adenauer-Republik ein wichtiger Leuchtturm alternativer demokratischer Perspektiven“, erläuterte Dr. Thomas Wagner, Studienleiter bei der Katholischen Akademie und treibender Motor hinter dem Dirks-Gedenken. „Er war für den Katholizismus eine permanente Provokation mit seinem Pazifismus, seiner politischen Gerechtigkeitsdenke, seinen Einwürfen zur Kirchenreform im Sinne des Zweiten Vatikanischen Konzils und seiner Forderung nach einer samaritanisch-politischen Kirche.“ In seiner Frankfurter Zeit habe Dirks regelmäßig den Sonntagsgottesdienst im Dom besucht und montags drauf für seine linksliberalen christliche Ideen geschrieben. Er stehe für einen modernen, aufgeklärten und sozial-engagierten und demokratischen Katholizismus, drum sei es wichtig, das Gedenken an ihn wachzuhalten, so Wagner, der am Schluss noch auf die nächste Dirks-Veranstaltung hinwies – die regelmäßig stattfindende Dirks‘ Streitbar gibt es am Mittwoch, 19. Juni, 19 bis 21 Uhr, im Haus am Dom, Domplatz 3 in der Innenstadt.

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