FRANKFURT
[Kopie] Ärztetag zu digitalen Möglichkeiten und Risiken des Heilberufs
„Heilsames Wirken im Zuge der Digitalisierung“, so lautet der Titel des Ärztetages 2024 im Haus am Dom. Hier lesen Sie das Grußwort von Bischof Dr. Georg Bätzing und finden den Flyer zur Veranstaltung in diesem Jahr. Weiter unten erhalten einen Überblick über die Ärztetage des Bistums Limburg seit Beginn 2007.

Grußwort zum Ärztetag am 3. Februar 2024 in Frankfurt
von Bischof Dr. Georg Bätzing, Limburg
Sehr geehrte Gäste, sehr geehrte Referenten und Referentinnen,
sehr geehrte Mitglieder des Arbeitskreises „Ethik in der Medizin“,
es freut mich sehr, Sie alle zum 16. Ärztetag am Dom begrüßen zu dürfen.
Im vergangenen Jahr, als Sie zu den gesundheitlichen Folgen von Kontaktbeschränkungen gearbeitet haben, wie sie sich nach Ende der Pandemie abzeichneten, war ich durch mein Amt als Vorsitzender der deutschen Bischofskonferenz gebunden. Das habe ich auch deshalb bedauert, weil mir als Priester die Zunahme von Einsamkeit und Angst durch Isolation bekannt war, besonders bei Menschen, die auch sonst mit Ängsten und Unsicherheit zu kämpfen haben. Ich danke Ihnen heute rückblickend dafür, dass Sie auf Ihrer Liste kundiger Referierender im letzten Jahr auch eine leitende Telefonseelsorgerin unseres Bistums berücksichtigt haben. Ich schätze die Arbeit der Telefonseelsorge. Und es ist mein Eindruck, dass sie früh und sachdienlich darauf hinweisen kann, wo die aktuellen Notlagen der Gesellschaft liegen. Seelsorger und Seelsorgerinnen erfahren von Lebenskrisen im Gespräch, konkret, als Teil der Lebensgeschichte der Menschen, die ihnen begegnen.
Auch Sie, verehrte Ärztinnen und Ärzte, hören Geschichten, „Krankheitsgeschichten“, wenn sie die Fragen stellen: „Wie fühlen sie sich? Was tut Ihnen weh?“ Auch in Ihrer Disziplin ist Zuhören zentral. So sagte es der Kardiologe Bernard Lown: „Um erfolgreich heilen zu können, muss ein Arzt vor allen Dingen zum Zuhören erzogen werden.“ „Zum Zuhören erzogen“ – Häufig assoziieren wir irrigerweise die Medizin mit Blutabnehmen und MRT, Abtasten und Therapie. Dass dort in ähnlichem Maße gesprochen und zugehört wird wie in der Seelsorge, geht angesichts moderner Apparatemedizin schnell vergessen. Dabei haben wir eine gemeinsame Wurzel – in der Antike waren Priester und Arzt oftmals eine Person, Heilende für Geist und Körper.
Es liegt also nahe, dass sowohl bei Ihnen, den Ärztinnen und Ärzten, in vielen Bereichen wie bei Seelsorgerinnen und Seelsorgern die direkte mündliche Kommunikation einen Großteil der Berufstätigkeit darstellt. Bei der Ärztin im Krankenhaus soll dies zwischen 50% und 60% ihrer Zeit sein, für den Arzt in freier Praxis sogar 80% bis 90% seiner beruflichen Tätigkeit ausmachen. [Zahlen nach Horst Poimann]. Wie dieses mündliche Arzt-Patienten-Agieren durch künstliche Intelligenz ergänzt werden soll, ist mir nicht plausibel. Ein Arzt, eine Ärztin gleichen das Auftreten des Patienten, sein Unbehagen und seine Darstellung des Leidens mit Patientendaten, Bilddokumenten und evidenten Studien ab. Das tun sie im besten Fall durch geübtes Fragen, mit medizinischem Bauchgefühl und ärztlicher Zugewandtheit. Ob Spracherkennungssoftware hier effektiv sein kann, wie es Karl Lauterbach kürzlich im Spiegel ankündigte, bezweifle ich. In den Kirchen wird bisweilen mit Segensrobotern experimentiert. Auf dem Evangelischen Kirchentag hat Alexa einmal einen Gottesdienst geleitet. Hier ist evident geworden: Digitales Messelesen bringt in aller Exaktheit keine Qualität. Die Auswertung von Statistiken dagegen kann von KI profitieren. Was kann dieses Zueinander für die Medizin bedeuten?
Der Titel des Ärztetags „Heilsames Wirken im Zuge der Digitalisierung“ klingt nach einer Heilszusage. Aus vielen Lebensbereichen hören wir, wie digitale Technologien Informationen schneller teilen, Menschen miteinander verbinden und den Zugang zu Bildung und Sozialversorgung verändern. Zudem verspricht die Digitalisierung die schnelle Zusammenarbeit auf globaler Ebene. Digitale Datenverarbeitung ist aber nicht nur rasend schnell, sondern auch „intelligent“. Datenverarbeitung durch KI greift fundamental in Arbeitssysteme ein. Deshalb ist es unsere Pflicht, ihre sichere und menschengerechte Gestaltung zu erstreiten. Wo KI-unterstützte Technologien die Struktur von Tätigkeiten verändern oder ursprünglich dem Menschen zugeordnete Tätigkeiten sogar übernehmen, müssen die Regeln für menschliches Zusammenleben neu beschlossen werden. Die Frage ist, von wem? Hier sehe ich es auch als Aufgabe der Kirchen, die Frage zu stellen, wer befugt ist und wer geeignet, KI gemeinwohlorientiert zu entwickeln.
Lassen Sie mich klarstellen: Ich teile nicht die Sorge, superintelligente Roboter würden die Menschen unterwerfen – die Angst vor einer Übernahme der Weltherrschaft ist ein Dämon von übler Propaganda und älter als die KI. Aber ich fordere einen realistischen Blick auf die Interessen, die Behörden oder Unternehmen beim Aufbau ihrer Digitalisierungsstrategie leiten. Ich zitiere die Wissenschaftsjournalistin Manuela Lenzen: „Langsam spricht sich herum, dass überforderte, und nicht übermächtige Algorithmen das Problem sind: Systeme, denen Menschen die Entscheidungen über Kredite, den Zugang zu Sozialleistungen oder zum Gesundheitswesen überlassen, ohne dass diese die Komplexität der Situationen übersehen könnten.“
Das digitale Zeitalter kann dank der hohen Rechenleistungen anders Vorhersagen treffen. Das muss aber nicht zwingend dazu führen, dass die Komplexität abnimmt und das Entscheiden leichter wird. Ein Verfahren wird nicht zwingend gerechter, je mehr Daten vorliegen. Algorithmen sind menschengemacht und basieren auf Unternehmensinteressen, d. h. sie könnten auch zum Nachteil von Schwächeren hochrechnen – im Gesundheitswesen, aber auch sonst, wäre das fatal.
Papst Franziskus sagte jüngst in einer Botschaft zum Weltmedientag: „Je nach Ausrichtung des Herzens wird alles, was sich in den Händen des Menschen befindet, zur Chance oder zur Gefahr.“ (Vatican News 24.1.24) Es liegt eine Gefahr darin, den Menschen auf Daten zu reduzieren. Das Denken in Modellen kann helfen. Aber es fordert uns immer heraus, die Anlage der Modelle kritisch zu überprüfen.
Es ist wichtig, dass wir die Balance finden zwischen der Nutzung digitaler Möglichkeiten und dem bewussten, vorausdenkenden Umgang mit ihnen. Heilsames Wirken setzt Akteure und Akteurinnen voraus, die erkennen, wie hyperfragmentiert unsere Gegenwart ist. Die sozialen Medien haben unseren Informationsaustausch revolutioniert. Ich weiß von Ärzten, die sich auf WhatsApp kollegial beraten, und ich unterstelle, mit gutem Ergebnis für die Patientinnen und Patienten.
Ich kommuniziere selbst auf vielen Kanälen, oft gleichzeitig, oft „nur im Bild“ wie bei Videokonferenzen, oft schnell wie in einer sms oder E-Mail. Das macht etwas mit uns selbst. In einem Alltag ohne Pausen und Warten ist unsere Aufmerksamkeit in Gefahr. Ohne das Erleben einer „Eigenzeit“ (Wissenschaftstheoretikerin Helga Nowotny), dem bewussten Erleben in Raum und Zeit, ist keine gute Balance möglich. Wir brauchen im Umgang mit digitalen Möglichkeiten die Freiheit, Stopp zu sagen und empfindliche Lebensbereiche zu schützen, vielleicht auf Kosten von Effizienz, aber zugunsten unverzichtbarer zwischenmenschlicher Zuwendung.
Ich wünsche Ihnen eine inspirierende Veranstaltung und freue mich, dass Sie sich mit diesem wichtigen Thema auseinandersetzen.
Ärztetag 2024
-
FormatDateiname
-
Download des Flyers 2024
Inhalte der vergangenen Ärztetage im Haus am Dom
Ärztetag 2023
-
FormatDateiname
-
Download des Flyers 2022
Ärztetag 2022
-
FormatDateiname
-
Download des Flyers 2022
-
FormatDateiname
-
Information Ärztetag 2021
Ärztetag 2020
-
FormatDateiname
-
Download des Flyers 2020
Ärztetag 2019
-
FormatDateiname
-
Download des Flyers 2019
Ärztetag 2018
-
FormatDateiname
-
Download des Flyers 2018
Ärztetag 2017
-
FormatDateiname
-
Download des Flyers 2017
Ärztetag 2016
-
FormatDateiname
-
Download des Flyers 2016
Ärztetag 2015
-
FormatDateiname
-
Download des Flyers 2015
Ärztetag 2014
-
FormatDateiname
-
Download des Flyers 2014
Ärztetag 2013
-
FormatDateiname
-
Download des Flyers 2013
Ärztetag 2012
-
FormatDateiname
-
Download des Flyers 2012
Ärztetag 2011
-
FormatDateiname
-
Download des Flyers 2011
Ärztetag 2010
-
FormatDateiname
-
Download des Flyers 2010
Ärztetag 2008
-
FormatDateiname
-
Download des Flyers 2008
Ärztetag 2007
-
FormatDateiname
-
Download des Flyers 2007