FRANKFURT, 14.02.2024

Ordnung birgt Gewaltpotenzial

Die Bilder von Parastou Forouhar sind für den zweiten Blick gedacht – und offenbaren dem, der sich näher mit ihnen beschäftigt, Verstörendes. Beim Aschermittwoch der Künstler im Haus am Dom spricht sie über ihr Malen und darüber, wie Erlebtes ihre Kunst geprägt hat.

Ist sie Iranerin? Oder Deutsche? „Was ich bin, weiß ich nicht so genau“, sagt Parastou Forouhar beim Aschermittwoch der Künstler im Haus am Dom. „Vielleicht bin ich am ehesten ,vielheimisch‘, wie eine Freundin von mir sagt.“ Als Künstlerin jedenfalls ist sie zur Traditionsveranstaltung geladen, wo sie am Nachmittag auf Einladung von Bischof Georg Bätzing vor 140 Vertreterinnen und Vertretern der Kunstszene spricht – und auch als Frau, mit einem spezifischen Blick auf die andauernden, aber durch andere Kriege aus den Medien verschwundenen Frauenaufständen im Iran. Auf der Bühne trägt Forouhar einen Stoffaufnäher mit der Aufschrift „Frau Leben Freiheit“, und um die Freiheit oder ihr Fehlen geht es ihr vielmals in ihrer Kunst.

Bunte Muster, die sich erst auf den zweiten Blick als Anhäufung von menschlichen Körpern herausstellen; farbige Schmetterlinge, die politische Grausamkeiten archivieren – die Kunst von Parastou Forouhar ist mehr, als auf den ersten Blick zu erkennen ist. Bischof Georg Bätzing, der den gut eineinhalbstündigen Vortrag und das anschließende Gespräch mit Dommuseumsdirektorin Dr. Bettina Schmitt aufmerksam verfolgt, sagt nach dem Vortrag zur Künstlerin: „Dieses Dekorhafte, Systemische Ihrer Kunst erscheint zunächst als beruhigend oder einfach, aber es hat Macht, es übt eigentlich sogar Gewalt aus, indem es vorgibt, die Welt so geordnet zu haben, wie die Welt niemals geordnet sein kann. Das strengt an, man muss suchen und sich darin orientieren.“

Die Betrachter:innen mit den eigenen Vorurteilen zu konfrontieren, sie herauszufordern im Prozess des Sehens – darum geht es der vielfach ausgezeichneten Künstlerin Parastou Forouhar, die im Iran aufwuchs und 1991 nach Deutschland kam. Die Anfrage, im Haus am Dom über ihr Schaffen zu sprechen, habe sie überrascht, aber auch sehr gereizt, sagt sie zu Beginn. „In einer Zeit, die zunehmend von Abgrenzung und Affront gegenüber vermeintlich Fremden geprägt ist, als Frau und Migrantin aus einem muslimischen Land hierher eingeladen zu werden, habe ich als erfrischende Aufgeschlossenheit und Leichtigkeit wahrgenommen.“ In der Tat ist es das erste Mal in der Geschichte des Aschermittwochs der Künstler im Bistum Limburg, dass eine Künstlerin aus dem islamischen Kulturraum als Rednerin geladen wurde, erklärt Joachim Valentin, Direktor des Hauses am Dom und der Katholischen Akademie: „Wir verstehen diese Einladung als Signal, als Brücke für einen Dialog, der uns alle herausfordert.“

Aufforderung, Verantwortung zu übernehmen

Diese Herausforderung besteht gleichwohl auch innerlich, schildert Parastou Forouhar, die die eigenen Erfahrungen einer Gleichzeitigkeit von Fremdheit und Zugehörigkeit als „schrecklich und schön“ beschreibt. Die Gespaltenheit ist ein maßgeblicher Teil ihrer Identität und, untrennbar verbunden, ihrer Kunst, über die sie in fast lyrischen Worten spricht: „Es geht um das Erbe der Vergangenheit und um Gegensätze, die sich immer wieder neu ausbilden und uns auffordern, Verantwortung zu übernehmen.“

Forouhar wuchs auf mit dem großen Verlangen, in Freiheit zu leben. Ihre Eltern seien dem iranischen Regime von jeher kritisch gegenüber eingestellt gewesen. Als 1978 ein flächendeckender Aufstand gegen das Regime entbrannte, war sie 16 Jahre alt und sah: „Sämtliche nicht-konforme Denkweisen wurden hart bestraft.“ Tausende, unter ihnen auch ihr Vater, wurden verhaftet, im besten Falle Flucht, im schlimmsten Fall Hinrichtung. Parastou Forouhar schloss sich anderen jungen Menschen an, die sich im Verborgenen trafen, Filme schauten, Bücher austauschten, Musik hörten, tanzten und lachten. 1984 begann sie, Kunst zu studieren – für sie eine Möglichkeit, nach alternativen Horizonten Ausschau zu halten.

„Als Künstlerin versuche ich, meine Empfindungen aus dieser Zeit nachzuspüren und eine Sprache zu finden, sie bildnerisch umzusetzen.“ In der Folge habe sie Parallelen zwischen totalitären Systemen und einer ornamentalen Struktur erkannt, die Andersartigkeiten als Abweichungen abstoßen. Schöne Ordnung birgt für sie Gewaltpotenzial, denn sie kann gleichsam für Praktiken der Ausgrenzungen und Diffamierung genutzt werden.

Auf der Suche nach dem Ankommen

Mit der Erfahrung wuchs der Wunsch, auszuwandern – in den Westen, der demokratische Freiheit verhieß. Mit zwei kleinen Söhnen, riesigen Koffern und endlos vielen beglaubigt übersetzten Urkunden zog sie 1991 nach Deutschland, doch dem Auswandern folgte kein selbstverständliches Ankommen: „Der Zwischenraum war zunächst kahl und abweisend. Im neuen Land war ich auf die Summe meiner Unzulänglichkeiten reduziert.“ Die iranische Künstlerin wurde zur „ehrgeizigen Ausländerin“, die sich ständig in der Bringschuld sah und die Autorität von Formularen und Stempeln kennenlernte. Immer wieder stieß sie an Grenzen, wurde enttäuscht, gedemütigt. Als sie endlich den Antrag auf ein unbefristetes Bleiberecht stellen konnte, wurde dieser abgelehnt mit der Begründung, sie könne nicht für sich selbst sorgen, sondern sei auf Staatshilfen angewiesen – weil sie zeitgleich ein vom Staat bezahltes Stipendium erhalten hatte. Und als ihre Eltern 1998 im Iran ermordet wurden, kämpfte sie für Gerechtigkeit und ging auch in die Medien. Schlussendlich verloren sie und ihre Kinder dadurch ihr Zuhause, weil die anderen Mieter im Haus in Bornheim Angst hatten vor islamistischer Rache. Ihren Kampf, der bis heute andauert, beschreibt sie in ihrem Werk „Dokumentation“, bei dem sie tausende von Rechercheseiten inszeniert und bei dem ein ganz wesentlicher Teil der Kopierer in der Mitte des Raumes ist, der es ermöglicht, die gezeigten Dokumente zu vervielfältigen.

Irgendwie nirgendwo richtig

Nicht hier, nicht dort, irgendwie nirgendwo richtig – von dieser Doppelwandigkeit der Fremdheit erzählt – unter anderem – ihr Werk „Written Room“, bei dem sie arabisch anmutende Schriftzeichen, die doch keine echten sind, großflächig wellenförmig auf Böden, an Wände und Decken schreibt. Darüber, dass ein solcher „Written Room“, den sie auf einem Platz in der Schweiz entstehen ließ, von offizieller Seite in Gänze mit einer Drohne gefilmt wurde, um sie überprüfen zu können, schmunzelt sie bis heute.

Das Musterhafte, Serielle, das viele ihrer Arbeiten auszeichnet, entsteht zum Teil mit der Hand, vieles wird auch am Computer vervielfältigt. „Als ich angefangen habe, mit dem Computer Muster zu entwerfen, musste ich oft an altpersische Meister denken, die jedes dieser Muster mit der Hand gemalt haben“, erzählt sie.  Ihre Art zu Malen beschreibt sie als schnell und unmittelbar, als unverzüglichen Blickwechsel zwischen der Realität, die sie vor Augen hat, und dem, was auf der Leinwand ersteht. „Kunst ermöglichte mir, in einer stark reglementierten Welt einen Blickwinkel, eine fragile Freiheit zu finden.“

Gefragt nach der Kunstszene im Iran sagt Parastou Forouhar, sie sei trotz aller Unterdrückung äußerst lebendig. Nach dem Tod von Mahsa Amini 2022, der eine landesweite Welle des Protestes auslöste, hätten sich besonders junge Kunststudierende sehr aktiv gezeigt, Videoarbeiten veröffentlicht, Denkmäler gebaut und mehr. Viele seien dafür bestraft worden. „Diese Bewegung hat hier jetzt gerade keine Sichtbarkeit mehr, aber es ist wichtig, dass wir weiter hinschauen.“

Bischof Georg Bätzing predigt im Dom

Nach dem Vortrag im Haus am Dom folgt der traditionelle Aschermittwochsgottesdienst mit Bischof Georg Bätzing im Bartholomäusdom. In seiner Predigt geht es – natürlich - um Veränderung. Bischof Bätzing zitiert Udo Lindenberg, den ungarischen Schriftsteller Ödön von Horvath und den Theologen Fulbert Steffensky – und kommt zu dem Schluss: „Der Aschermittwoch wirkt wie ein Signal: Nicht alles kann so bleiben. Du kannst nicht so bleiben. Bedenkzeit ist angesagt. Auf Ostern hin tut Veränderung gut. Und das alles mit einem Gott an der Seite, der auch das Ver¬borgene sieht, darum weiß und es in seiner Güte gewichtet.“ Die Predigt kann unten in ganzer Länge heruntergeladen werden.

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