FRANKFURT, 27.03.2024
„Wir sind Seismographen für Sinnangebote“

Im Haus am Dom ist gerade die dreitägige Konferenz der deutschsprachigen Weltanschauungsreferenten zu Ende gegangen. Dr. Johannes Lorenz, Weltanschauungsbeauftragter des Bistums Limburg und Studienleiter für Weltanschauungsfragen und Lebenskunst bei der Katholischen Akademie Rabanus Maurus, gibt interessante Einblicke in eine oft verschlossene Welt.
Herr Lorenz, viele Menschen können mit dem Begriff „Weltanschauungsbeauftragter“ nicht viel anfangen. Was sind denn die Aufgaben eines solchen Beauftragten? Und wie viele Weltanschauungsreferenten gibt es in Deutschland?
DR. JOHANNES LORENZ: An der aktuellen Konferenz, die gerade im Haus am Dom stattgefunden hat, haben 24 Kolleginnen und Kollegen teilgenommen, nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus Österreich und Luxemburg. Ursprünglich waren wir zuständig für die klassischen Sekten, wie Scientology oder Jehovas Zeugen. Die Arbeit hat sich aber sehr verändert, weil die beiden großen Kirchen es sich nicht mehr leisten können, nur über andere zu sprechen – sozusagen „Othering“ zu betreiben. Im Sinne: die Sekten sind immer die anderen, wir sind die Guten. Wir sprechen heute nicht mehr von Sekten, sondern von religiösen Sondergruppen oder konfliktträchtigen Gemeinschaften, wenn es mit Gruppierungen Probleme gibt. Wir sind sozusagen Seismographen für den bunten und vielfältigen Markt von Sinnangeboten, seien sie religiöser, weltanschaulicher oder psychologischer Art. Und Menschen kommen zu uns, um sich beraten zu lassen beziehungsweise Hilfestellungen zu bekommen, wie umzugehen ist mit undurchsichtigen Sinnangeboten.
Was sind aus Sicht der Weltanschauungsreferenten drängende Probleme und Herausforderungen in Zeiten multipler Krisen? Immer mehr Menschen stellen ja selbst belegbare Fakten offen infrage. Eine Gefahr für die Gesellschaft?
LORENZ: Naja, das sehen wir nicht groß anders als die Sozialwissenschaften oder Psychologen. Die Spannungen nehmen zu, weil Gruppen dazu tendieren, sich voneinander abzuschließen. Das sind, wenn man so will, natürliche Reaktionen auf die Konfrontation mit Vielfalt an Lebensoptionen, die mich ja zur Entscheidung drängen. Wer bin ich? Wer will ich sein? Was gibt meinem Leben Sinn? Wie gehe ich mit der Kontingenz des Lebens um? Auch wenn die großen Kirchen schon lange keine mehrheitsfähige Deutungsmacht mehr haben – die Fragen bleiben und wollen beantwortet werden. Auch die Naturwissenschaften wissen ja nicht, wie ich ein gutes Leben führen kann, hier wollen Antworten her. Klar, die Infragestellung von belegbaren Fakten ist ein Riesenproblem. Stichwort: Vertrauensverlust in Institutionen. Früher war zum Beispiel eine Redaktion als Gatekeeper für seriöse Informationen noch anerkannt; heute kann sich jeder zum Redakteur seines Lebens und seiner Welt machen, das hat emanzipatorisches Potenzial, bringt aber auch Gefahren mit sich.
Gibt es so etwas wie eine „katholische Weltanschauung“? Wie kann es gelingen, angesichts von Krieg, Gewalt und Instabilität nicht die Hoffnung zu verlieren?
LORENZ: Es gab mal einen berühmten Lehrstuhl für katholische Weltanschauung. So etwas gibt es aber nicht mehr. Es klingt ein wenig nach ideologischem Komplettüberbau. So denken wir nicht. Katholisch zu sein, heißt zuerst einmal Offenheit zu zeigen gegenüber jedem und allem, was versucht, auf Sinnfragen Antworten zu finden. Grenzen sehen wir immer dann, wenn spiritueller Missbrauch stattfindet und das insbesondere, wenn die persönliche Integrität von Menschen gefährdet ist. Katholisch heißt, dass wir die Freiheit des Menschen fördern möchten, weil Gott den Menschen in seiner Freiheit anspricht und nicht als abhängigen Knecht. Das heißt übrigens, dass wir auch nach innen schauen: wo gibt katholische anerkannte Gemeinschaften, die den Menschen gefährden? Darüber haben wir unter anderem auf unserer Tagung gesprochen. Es gibt kein Rezept dafür, die Hoffnung nicht zu verlieren, dafür sind Menschen zu unterschiedlich. Als Christ sage ich dazu, dass der Glaube schon das Potential hat, mich dafür zu öffnen, nach guten Möglichkeiten für eine gute Zukunft zu schauen. Den Kopf in den Sand zu stecken ist keine katholische Tugend.