Frankfurt, 25.01.2025

"Wo wir sind, müssen die Türen offen sein"

Der Baseler Bischof Felix Gmür hat am Samstag das traditionelle Karlsamt im Frankfurter Bartholomäusdom geleitet. In seiner Predigt rief er dazu auf, sich selbst wieder zum Subjekt des eigenen Handels zu machen – und so Verantwortung für die Gesellschaft zu übernehmen.

Kirche soll sich politisch nicht einmischen – aber, wo es nötig ist, muss sie verantwortlich Stellung beziehen. Das sagte Dr. Dr. Felix Gmür, Bischof von Basel, beim Domgespräch, das jedes Jahr unmittelbar vor dem Karlsamt im Haus am Dom stattfindet, unter anderem mit Blick auf die Predigt der anglikanischen Episkopalbischöfin von Washington, Mariann Edgar Budde. Sie hatte den erneut gewählten US-Präsidenten Donald Trump bei einem Dankgottesdienst am Tag nach seiner Amtseinführung in dieser Woche direkt angesprochen und um Mitleid gebeten mit den „Menschen in unserem Land, die jetzt Angst haben“.

„Die Bischöfin hat das gut gemacht“, sagte Bischof Gmür zu einer entsprechenden Frage aus dem Publikum. „Die Kirche macht keine Politik, aber sie ist dennoch politisch, denn wenn man nichts sagt, ist man dafür.“ Stellung beziehen zu Themen ja, klare Wahlempfehlungen für eine bestimmte Partei oder einen Kandidaten aussprechen nein – dort zieht der Baseler Bischof die Grenze. Die Kirche solle Präsenz und Haltung zeigen „mit dem, an was man glaubt“. Angesprochen darauf, wie die Kirche Populismus begegnen solle, räumte Gmür ein, dafür habe auch er kein Patentrezept, im Gegenteil: „Der wachsende Extremismus beelendet auch mich“, sagte er. Dennoch seien Menschen, die extrem wählten, nicht per se schlecht, sondern „hochgeschaukelt“. „Hier braucht es eine sehr gute Schulung in Geschichte, auch im Medienkonsum“, forderte Gmür, der auch selbst ab und zu durch Social Media scrollt und findet: „Dort gibt es so viel Furchtbares, die Einen machen die Anderen nieder – und zwischendrin ein Katzenvideo.“

Wesen auf der Suche nach Sinn

Eine Stunde lang sprach Gmür mit Prof. Dr. Joachim Valentin, Direktor des Hauses und der Katholischen Akademie Rabanus Maurus, im Giebelsaal über Herausforderungen der katholischen Kirche in seiner Diözese, der Schweiz und in der Welt. Ein weiteres wichtiges Thema dabei: Physische Orte, an denen der katholische Glauben präsent und sichtbar ist. „Damit diejenigen, die wollen und suchen, einen Orientierungspunkt haben“, so der Bischof. Der katholische Glauben müsse großzügig und zugewandt sein, ein Fels in der Brandung, der fest stehe auch in unsicheren Zeiten. „Vielleicht geht Präsenz nicht flächendeckend, aber dort, wo wir sind, sollten die Türen offen sein. Menschen sind sinnsuchende Wesen und wir bieten ihnen einen Sinnhorizont an. Denn unser Auftrag ist, dass wir die Menschen mit Jesus, der Heiligen Schrift und den Sakramenten in Kontakt bringen.“

Das sei in Zeiten, in denen immer mehr Menschen aus der Kirche austreten, vielleicht eine Herausforderung. „Aber ich glaube, dass das Geld das kleinste Problem ist, eher die ungleichmäßige Verteilung, denn in der Schweiz bestimmt jede Gemeinde und jeder Kanton, wie viele Steuern sie erhebt. Deshalb gibt es sehr reiche und sehr arme Kantons, das macht bistumsübergreifende und kantonsübergreifende Projekte sehr herausfordernd“, berichtete der Bischof. Entsprechend würden Pfarrer und Pastorale auch abgeworben. Gmür sprach sich klar für die Frauenweihe aus und auch für die Wahlfreiheit beim Zölibat, der ein gutes Zeichen, aber nicht notwendig sei für das Priestertum.

Gut, weil es verankert ist

Das Bistum Basel umfasst zehn der 26 Schweizer Kantone mit rund 1,1 Millionen Katholikinnen und Katholiken. In der Schweiz ist das kantonale Recht dem Völker- und dem Bundesrecht nach- und dem kommunalen Recht übergeordnet, entsprechend gibt es im Bistum Basel zehn verschiedene Staatskirchenrechtssysteme, in zwei Kantonen sogar nur kommunale Regelungen. Gmür ist seit 2011 Bischof von Basel, er hat mittlerweile viel Erfahrung mit dem System. „Es ist gut, weil es verankert ist bei den Menschen, aber auch schwierig, weil Veränderungen noch langsamer gehen als ohnehin in der Kirche“, erklärte er. „Was die Leute betrifft, ist es nicht anders als überall in Zentraleuropa: Das Interesse an Spiritualität ist ungebrochen, aber der Ausdruck dieser Spiritualität und eine Bindung an eine Kirche sind merklich zurückgegangen, bei der katholischen und der evangelischen Kirche genauso wie bei muslimischen Gemeinschaften.“

Das Subjekt der Kirche

Nach dem Domgespräch feierte Bischof Gmür gemeinsam mit Bischof Dr. Georg Bätzing und Weihbischof Dr. Thomas Löhr das traditionelle Karlsamt im wie immer vollbesetzten Bartholomäusdom. Dabei hielt er seine Predigt frei und fragte: „Wer ist das Subjekt der Kirche?“ Gott, Jesus, der Heilige Geist, vielleicht der Priester, aber eben auch das Volk. Und hier könne Europa sich von der Kirche etwas abschauen. „Vielleicht muss Europa wieder lernen, sich selbst als Subjekt zu sehen. Ich höre in der Schweiz von außen ein Lamento, wie abhängig man ist, wie man zerdrückt wird und kleiner wird und wie der Einfluss sinkt. Dass es uns doch eigentlich gut geht, aber die anderen wollen, dass es uns schlecht geht. Vielleicht ist es gut, wenn dieses Europa wieder lernt zu sagen: Wir sind jemand, wenn auch nicht mehr wie früher. Wir müssen das Subjekt unseres eigenen Handelns sein.“ Sonst kämen „komische“ Regierungen und würden extrem, würden das Volk vom Subjekt und zum Objekt machen und obendrein manipulieren. „Das ist unmenschlich und auch unkatholisch“, sagte Gmür. Die Predigt kann hier in der Karlsamt-Aufzeichnung nachgehört werden.

Bewusste Lücke gelassen

Die Leitung der katholischen Stadtkirche, Christiane Moser-Eggs und Michael Thurn, begrüßten erstmals die Menschen im vollbesetzten Dom. Dabei erklärte Thurn, warum es in diesem Jahr, anders als sonst, nicht die gewohnte geschichtliche Einführung vor dem Gottesdienst gegeben hat. „Pfarrer Prof. Matthias Kloft, der sie jedes Jahr gehalten hat, ist im Oktober letzten Jahres völlig überraschend gestorben. Die Lücke, die er hinterlassen hat, ist spürbar und groß. Deshalb haben wir in diesem Jahr bewusst auf die Einführung verzichtet. Prof. Kloft ist fast zeitgleich mit Altbischof Franz Kamphaus verstorben, beide nehmen wir auf in unser Gebet.“

Bischof Georg Bätzing begrüßte seinen Kollegen und Freund Felix Gmür: „Wir sind uns in den vergangenen Jahren vielfach und offen begegnet, wir beide waren Mitglieder der Weltsynode und haben gemeinsam versucht, die Anliegen Europas, Deutschland und der Schweiz nach vorne zu bringen.“ Mit Gmür, der bis Ende 2024 Vorsitzender der Schweizer Bischofskonferenz war, habe er auch schwierige Fragen besprochen, etwa wie mit dem Missbrauch durch Kleriker und andere in der Kirche anders umzugehen sei, als es in den Jahrzehnten davor geschehen ist. „Ich danke dir für allen offenen Austausch, der mich weiterbringt“, so Bätzing, an Gmür gerichtet.

Keine Insel der Glückseligen

Am Nachmittag wurde Felix Gmür von der Stadt Frankfurt im Kaisersaal des Römers empfangen. Stadtrat Dr. Bernd Heidenreich begrüßte den Baseler Bischof herzlich und überreichte ihm eine Tasse der Höchster Porzellanmanufaktur mit dem Frankfurter Adler darauf. In seinem Grußwort schlug er eine Brücke zu Karl dem Großen, dem in Frankfurt seit den 1950er Jahren am letzten Samstag im Januar gedacht wird. „Auch das Europa des achten und neunten Jahrhunderts, in dem Karl lebte und sein Werk schuf, war ja alles andere als eine Insel der Seligen: Es ertrank fast im Blut seiner Stammesfehden und Glaubenskriege“, so Heidenreich. „Karl der Große ließ sich durch diese Herausforderungen nicht entmutigen, sondern setzte ihnen seine Vision eines im Zeichen des Kreuzes geeinten Europa entgegen, an der er bis zu seinem Tod unermüdlich gearbeitet hat. Dieses Europa mag durch die Krisen der Gegenwart schwer beschädigt sein. Doch seine Werte bleiben unzerstörbar, weil sie in der Natur des Menschen selbst begründet sind und deshalb vom Lauf der Zeit unberührt gelten. Ich bin mir daher sicher: Europa wird auch in Zukunft Bestand haben, wenn wir uns von unseren Illusionen verabschieden und uns seinen Problemen endlich stellen, statt uns selbstgenügsam in die bequeme Hängematte der Privatheit zurückzulehnen oder uns durch apokalyptische Zukunftsängste zu lähmen.“ Karl der Große könne dabei als „politischer Heiliger“ in seiner Tatkraft, aber auch in seinem Vertrauen auf Gottes Beistand ein Vorbild sein.

INFO

Hier sind die Aufzeichnungen von Domgespräch und Karlsamt 2025 zu finden:

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