Frankfurt
SCIVIAS - Der Literaturpreis des Bistums Limburg


Der SCIVIAS-Literaturpreis 2025 geht an Flora Weber, die die Jury mit einer vielstimmigen Selbstverortung überzeugt hat. Finn Tubbe erhält fürs Sezieren von Gesprächen zwischen einer Mutter und ihrem Sohn den diesjährigen Förderpreis. Überreicht wird der SCIVIAS-Literaturpreis am 26. September in Frankfurt.
Rund 480 Beiträge sind zum SCIVIAS-Literaturpreis 2025 des Bistums Limburg mit dem Thema „Ich und Du. Entdeckungen“ eingegangen. Nun stehen die Preisträger:innen fest: Flora Weber erhält den SCIVIAS-Literaturpreis 2025 für ihren Text „Flexi Tempus“.
„Flexi Tempus“, so die Jury-Begründung, ist eine neugierig sortierte Sammlung von fiktiven und erinnerten Begegnungen, vielstimmigen Gesprächssplittern, aufgelesenen Fundstücken aus fremden Social-Media-Posts, durchgezählt und probeweise festgehalten im Text auf der Suche nach der Existenz ganz eigener, originärer Gedanken. Das wechselnde Du im Text bleibt vage. Flora Weber präsentiert eine teils melancholische, teils amüsierte Selbstverortung und entdeckt das Auftauchen einer sich selbst bestimmenden Persönlichkeit aus dem Grundrauschen tradierter und digital vermittelter Sprech- und Denkweisen.
Eingeübte Wege werden scharfkantig
Den SCIVIAS-Förderpreis 2025 erhält Finn Tubbe für seinen Text „Der Geruch“. In einer schmerzhaft genauen Analyse werden die Lesenden darin hineingenommen in den Besuch eines Sohnes bei seiner Mutter. Die eingeübten Wege des Gesprächs werden scharfkantig, wo sich die eingeübten Rollen verändern. Im Prozess des Alterns und der damit einhergehenden Einschränkungen erscheinen Bindungs- und Fliehkräfte in einem labilen Gleichgewicht, das Finn Tubbe im beeindruckenden Schluss seiner Erzählung festhält.
„Wir waren überwältigt von dem großen Interesse, das unser alle zwei Jahre ausgetragener Wettbewerb für neue Kurzgeschichten wieder gefunden hat“, teilt die Jury mit. Zu ihr gehörten in diesem Jahr die Schriftstellerin Carolin Callies, der Schriftsteller Michael Kumpfmüller und die beiden Organisatorinnen des SCIVIAS-Literaturpreises, Dr. Friederike Lanz und Dr. Lisa Straßberger. Die Jury-Mitglieder haben viele der zahlreichen Einsendungen gleich mehrfach gelesen und waren beeindruckt von der Fülle der Themen und Sprachstile. „Diese Vielfalt werden wir in der geplanten Anthologie zum SCIVIAS-Literaturpreis abbilden“, heißt es in einem Schreiben, das zunächst an die Teilnehmenden verschickt wurde. Welche Einsendungen in der Anthologie veröffentlicht werden, wird nun im nächsten Schritt entschieden. Das Buch zum Wettbewerb wird voraussichtlich pünktlich zur Preisverleihung im September vorliegen (siehe unten).
Die Katholische Akademie Rabanus Maurus und die Katholische Erwachsenenbildung im Bistum Limburg (KEB) loben im zweijährigen Turnus den Preis für Literatur in Höhe von 3000 Euro (ohne Altersbeschränkung) sowie einen Förderpreis (für junge Autor:innen bis 25 Jahre) mit einer Dotierung von 1000 Euro aus.
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>> Das war die Ausschreibung der aktuellen Runde: SCIVIAS – Katholischer Literaturpreis des Bistum Limburg - Preise & Stipendien
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SCIVIAS - Wisse die Wege!
Die Aufforderung der Heiligen Hildegard von Bingen drängt kein Wissen auf, sondern ermutigt: Du kannst die Wege erkennen. Sie schreibt nichts vor, sondern stiftet an: Erforsche die Wege. Sie weist nicht den Weg, sondern öffnet den Horizont: Wisse die Wege!
Sie gab dem Literaturpreis des Bistums Limburg seinen Namen, als er auf Initiative der Katholischen Akademie Rabanus Maurus und der Katholischen Erwachsenenbildung im Bistum Limburg 2018 zum ersten Mal ausgeschrieben wurde.
In diesem einen Wort SCIVIAS ist unser Anliegen sehr gut gefasst:
Wir wollen Menschen ermutigen, zu schreiben. Jeder und jede kann mit einem unveröffentlichten literarischen Text teilnehmen. Zusätzlich gibt es einen Förderpreis für junge Autoren und Autorinnen oder eine Schreibwerkstatt.
Wir wollen Menschen anstiften, sich kreativ auf ein aktuelles gesellschaftliches Thema einzulassen. Unsere christliche Motivation zu diesem Vorhaben kommt inhaltlich in der jeweiligen Frage zum Ausdruck, auf die wir den Fokus richten und die wir zur Erforschung anbieten.
Wir wollen den weiten Horizont zeigen, die Vielfalt. Zu jeder Ausschreibung erhielten wir weit über dreihundert individuelle Geschichten, die die Einzigartigkeit menschlicher Erfahrung sichtbar machen. In der Zusammenschau lassen sich gesellschaftliche Muster erkennen.
2018 waren die Identitätsdiskurse auf einem Höhepunkt, KI in aller Munde. „Was glaubst du, wer du bist“ hieß deshalb das erste Thema. „Das Gespräch, das Geist, Körper und Gegenüber in gleicher Weise in Anspruch nimmt, erscheint dort als Grundzug des Menschlichen und steht als solcher mit dem Aufkommen Künstlicher Intelligenz in Frage. Viele Autor*innen leuchten aus, wie sich unser Gespräch verändert, wenn Künstliche Intelligenz ins Spiel kommt. Was als Triumph der Forschung und des technisch Machbaren in unser Zusammenleben, unseren vermeintlich suboptimalen Organismus, ja sogar in unseren Tod hereinbricht, wird kritisch wahrgenommen, in Science Fiction Szenarien auf mögliche Untiefen hin ausgelotet. Häufig steht der Mensch, wie wir ihn heute noch verstehen, am Abgrund und verteidigt seine gefährdete personale Existenz, sein Fühlen, sein sich Verdanken, sein Sehnen, sein Singen, sein Lieben. Die neue Erfahrung mit einer Maschine, die antwortet und sich einstellt auf persönliche Bedürfnisse, emotionale Regungen kopiert und jedenfalls unfassbar viel schneller kombiniert und lernt, die, einmal implantiert, unsere Möglichkeiten und unser Bewusstsein verändert, uns - vielleicht - mindestens als geistige Existenz unsterblich macht, wirft die Eingangsfrage in einer Variante wieder auf: Was ist noch ein Mensch?“[1] Was treibt ihn an und um? Andreas Peters erhielt den Preis für seine russische Nahaufnahme „Wo liegt Irbit?“.
2020 konfrontierte die Corona-Pandemie die Menschen mit ungekannten Risiken. „Risikogebiet“ war der Titel der zweiten Ausschreibung. „Genauer kann man eine Krise kaum ins Erzählen holen. Die Literatur leistet hier etwas, was nur sie kann: Sie läßt uns mit der Sprache verschwimmen. Indem wir in dem Strom der Erzählung treiben, gefangen von seiner stilistischen Klarheit, seiner Einfachheit und auch Spannung, sehen wir ein Spiegelbild. Das ist der Urmoment der Literatur: Wir erkennen uns selbst in der fremden Geschichte. Wir erkennen uns als Krisengeschöpfe, durch deren Leben permanent ein Panther brüllt – aber was ist er?“ [2], schrieb der Lyriker und Theologe Christian Lehnert in seiner Laudatio zum Text „Der Jaguar“ von Ursula Seeger. „(W)as ich eben als eine literarische Erfahrung benannte, kennzeichnet auch die religiöse, so wie sie jedenfalls bei Hildegard von Bingen erscheint. Ihr Ausgangsort ist die höchste Unsicherheit, die Verstörung, die mit dem Wort ‚Gott‘ erscheint, die Infragestellung aller Weltanschauung und aller Beheimatung, auch aller religiöser Dogmen. Die Gläubige, die Mystikerin bewegt sich in einem Risikogebiet. Alles steht zur Disposition.“[3]
2022 war das Thema der dritten Ausschreibung geprägt vom Angriffskrieg auf die Ukraine: „zerstören. Die Dinge. Die Sprachen. Die Seelen.“ Sind wir tatsächlich nur Flöhe auf dem Rücken des Leviathans, Insekten vor der enormen Größe der Vernichtung? Oder ist es ganz anders: Sind wir unermüdliche, unbesiegbare Erbauer*innen auf wackligem Grund, fragten wir in der Ausschreibung. Die Preisträgerin Sarah Roguschke führt ihren Text „Die Anfänge“ zu diesem behutsam hoffnungsvollen Schluss: „Am Ende meines Tunnelblicks sehe ich etwas ins Licht stolpern, vorsichtig und neugierig zugleich, wie ein Tier, das den Weg in die Freiheit gefunden hat/ ich kann es nur weiter anstarren, bis es fort ist und das Nadelöhr voll Licht zurückbleibt/ vor das sich ein anderes Auge schieben wird/ unsere Blicke überbrücken das Dunkel dazwischen/“[4]
Inzwischen sind viele gesellschaftliche Diskurse unter dem Eindruck der terroristisch und kriegerisch ausgetragenen Konflikte in Lager zerfallen, die sich vehement gegeneinander abgrenzen. Die neue Ausschreibung für den 4. SCIVIAS-Literaturpreis lenkt deshalb die Aufmerksamkeit auf das Gegenüber: „Ich und Du. Entdeckungen“
Die besten Texte erscheinen jeweils in einer Anthologie. Es ist der einzige katholische Literaturpreis für deutschsprachige Belletristik, ein Pendant zum Katholischen Kinder- und Jugendbuchpreis der Deutschen Bischofskonferenz. Er konnte bisher alle zwei Jahre vergeben werden. Das ist möglich durch das Engagement des Direktors der Akademie Prof. Dr. Joachim Valentin, und des Leiters der Katholischen Erwachsenenbildung Johannes Oberbandscheid, die, zusätzlich zu einer Förderung der Crummenauer-Stiftung, Mittel und Personal dafür freigeben. Birgit Reichmann kümmert sich im Haus am Dom um die Flut der Einsendungen und hält den Kontakt zu den Autor.innen.
Eine Jury bestimmt in einer gemeinsamen Sitzung den Preisträger bzw. die Preisträgerin. Dazu gehörten in wechselnder Zusammensetzung die Schriftsteller*innen Katarina Hacker, Christian Lehnert, Robert Prosser, Carolin Callies und Paul Henry Campbell, die Literatur-und Kulturexpert:innen Susanne Lewalter, Dr. Jakob Johannes Koch, Hans Sarkowicz, Dr. Alexander Gemeinhardt, Dr. Simone Husemann, Dr. Friederike Lanz und ich.
Etwa ein Jahr nach der Ausschreibung wird gefeiert bei der öffentlichen Preisverleihung mit Lesungen und Laudatio im Haus am Dom in Frankfurt. Die Schirmherrschaft hat die Äbtissin von Sankt Hildegard in Eibingen. Sie ist die Hüterin der Weisheit der Heiligen Hildegard. Sie übergibt im September 2025 den 4. SCIVIAS-Literaturpreis des Bistums Limburg.
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[1] Lisa Straßberger, Vorwort in: Was glaubst du, wer du bist, hg. v. Simone Husemann/ Lisa Straßberger, Herder Freiburg 2020, S.9-10.
[2] Christian Lehnert, Laudatio zu „Der Jaguar“, in: Risikogebiet, hg.v. Simone Husemann/ Lisa Straßberger, Herder Freiburg 2022, S.11.
[3] Ebd.
[4] Sarah Roguschke, Die Anfänge, in: zerstören. Die Dinge, die Sprachen. Die Seelen., hg. v. Lisa Straßberger, Herder Freiburg 2023, S.23.

Sarah Roguschke und Cornelia Manikowsky werden mit dem SCIVIAS-Literaturpreis 2023 ausgezeichnet. Vergeben wird der Preis von der Katholische Akademie Rabanus Maurus und der Katholischen Erwachsenenbildung im Bistum Limburg.
„Jeder Anfang ist das Warten auf ein neues Ende“ – mit diesen eindringlichen Worten beginnt der Siegertext des diesjährigen SCIVIAS-Literaturpreises. Sarah Roguschke überzeugte die Jury mit ihrer Kurzgeschichte „Die Anfänge“. „Die Autorin hat uns in einer verdüsterten Landschaft unserer Gegenwart abgesetzt“, heißt es in der Begründung der Jury. „Melancholie hat die Sicht auf potentielle Anfänge verdeckt, die im fortlaufenden Sprechen doch wieder auftauchen. Wir haben den Hoffnungsfunken im Titel, nach vielen Sackgassen der Zerstörung, am Ende, als Möglichkeit einer Begegnung, wiedergefunden.“
Die Katholische Akademie Rabanus Maurus und die Katholische Erwachsenenbildung im Bistum Limburg (KEB) schreiben im zweijährigen Turnus einen Preis für Literatur aus. Das Thema des SCIVIAS-Literaturpreises 2023 lautete „Zerstören. Die Dinge. Die Sprachen. Die Seelen.“ Über 320 Beiträge wurden eingeschickt. „Wir waren beeindruckt von der Vielfalt der literarischen Auseinandersetzung mit der Erfahrung des Zerstörens. Viele, oft auch autofiktionale Erzählungen haben uns berührt und uns veranlasst, sie bestürzt zum zweiten und dritten Mal nachzulesen“, teilt die Jury, bestehend aus Dr. Lisa Straßberger, Robert Prosser, Carolin Callies, Paul Campbell und Dr. Friederike Lanz mit.
Ausschlaggebend für die Wahl der Siegergeschichte war literarische Brillanz in der originellen und in sich geschlossenen Gestaltung des Themas „Zerstören“. „Wir waren überzeugt von der tastenden, hinterfragenden Suchbewegung nach einem Verlust, ließen uns von der ungewöhnlichen Sprachführung überraschen und mitnehmen an die Oberfläche westlicher Lebensweisen“, heißt es in der Jury-Begründung.
Autorin Sarah Roguschke, geboren 1987 im Ruhrgebiet, beschreibt sich selbst als Weltenbummlerin, die sich in den USA, auf Bali, in Marokko, Japan oder in Mexiko mit Inspiration aufgeladen hat. 2022 gewann sie den Hauptpreis für Prosa beim Hildesheimer Literaturwettbewerb, außerdem erschien 2022 ein Text von ihr im Zeitlichkeiten-Magazin. Sarah Roguschke ist bei einer Literaturagentur unter Vertrag.
Ein Gedächtnis, das sich auflöst
Auf den zweiten Platz wählte die Jury den Text „dass er auf dem Balkon stand“ der mehrfach ausgezeichneten und veröffentlichten Autorin Cornelia Manikowsky (Jahrgang 1961). „Die kühne, brillant gearbeitete Form dieses Beitrags hat uns fasziniert. In einem Satz die Gestalt des Vaters zu zeichnen, wie der Krieg ihn geprägt hat und diese Prägung das Familienleben, das Aufwachsen und die Empfindungswelt der nächsten Generation beeinflusst, infiziert und durchdringt in der empfindlichen, umformenden Erinnerung an diese verschwindende Generation, deren eigenes Gedächtnis sich auflöst, ist ein literarisches Kunstwerk, das wir gerne auszeichnen“, teilt die Jury mit.
Der Förderpreis für junge Autor:innen bis 25 Jahre, der ebenfalls ausgeschrieben war, wurde nach intensiver Diskussion nicht vergeben. Stattdessen ist eine Schreibwerkstatt vorrangig für Autorinnen und Autoren unter 35 Jahren geplant, die an diesem Wettbewerb teilgenommen haben.
Preisverleihung
Der SCIVIAS-Literaturpreis 2023 wurde am Freitag, 29. September 2023, 18 Uhr, im Haus am Dom in Frankfurt verliehen. Die Laudatio zu beiden Preisen hat im Namen der Jury der österreichische Schriftsteller Robert Prosser gehalten. Die Öffentlichkeit und die Presse waren eingeladen zur Preisverleihung.
Sarah Roguschke und Cornelia Manikowsky haben das Publikum der SCIVIAS-Literaturpreisverleihung im Oktober 2023 im Haus am Dom mit ihren prämierten Texten begeistert. Der Literaturpreis des Bistums Limburg wurde im Haus am Dom vergeben.
Worte können uns erstarren lassen und zugleich bewegen. Sie weiten unsere Gedanken, indem sie unseren Blick auf das Leben wie mit einer Lupe konzentrieren. Das zeigte die atmosphärisch dichte Verleihung des SCIVIAS-Literaturpreises am Freitag, 29. September 2023, im Haus am Dom in Frankfurt. Die Preisträgerinnen Sarah Roguschke und Cornelia Manikowsky begeisterten mit Lesungen ihrer prämierten Texte, ebenso wie der österreichische Schriftsteller und Laudator Robert Prosser mit einem freien Vortrag aus seinem jüngsten Roman.
DAS THEMA
Das diesjährige Thema „Zerstören – Die Dinge. Die Sprache. Die Seelen.“ ist eine Reaktion auf den russischen Angriffskrieg. Dies machten gleich eingangs die Organisatorinnen des Preises, Dr. Lisa Straßberger, Studienleiterin für Literatur bei der Katholischen Akademie Rabanus Maurus (KARM) und Dr. Friederike Lanz, Studienleiterin für kulturelle Bildung bei der Katholischen Erwachsenenbildung (KEB), deutlich. Angesichts der bestürzenden und schmerzhaften Eindrücke des Krieges passte die Jury die Ausschreibung entsprechend an, nachdem ursprünglich eine andere Überschrift erdacht worden war. Die zum Thema „Zerstören“ mehr als 320 eingesendeten Texte handeln von den Verletzungen, die wir uns gegenseitig zufügen und von den damit verbundenen Schmerzen.
LAUTE ZERBRECHLICHKEIT – ZARTE FRAGMENTE DES MUTS
Eben jene Zerbrechlichkeit menschlichen Lebens betonte auch Dr. Ralf Stammberger, Leiter des Leistungsbereichs Pastoral und Bildung in seinem Grußwort. „Die Literatur gibt tiefen Einblick in die Auseinandersetzung von Menschen mit dem Leben“ und dies sei katholisch - im Sinne von allumfassend. Prof. Dr. Joachim Valentin, Direktor der KARM, appellierte an die Teilnehmenden im Großen Saal im Haus am Dom, sich „die Zerstörung in unseren Herzen und in unseren Wäldern durch Literatur zu vergegenwärtigen“. Zugleich wertete er die hohe Anzahl von mehr als 320 Einsendungen zum Ausschreibungsthema als Zeichen der Kraft, die der Kultur innewohnt. Dass die Zukunft unserer Gesellschaft, wie wir sie kennen, und der Erhalt der freiheitlich-demokratische Grundordnung ganz existenziell auch von Kunst- und Kulturschaffenden abhängen, betonte Johannes Oberbandscheid, Leiter der KEB.
Dr. Raphaela Brüggenthies, OSR, Priorin und Novizenmeisterin der Abtei St. Hildegard und Schirmherrin des SCIVIAS-Literaturpreises, nahm unter anderem den Mut des Erzählens in den Blick. Der Moment der Wandlung stehe dem lauten Getöse des Zerstörens meist still entgegen. „Doch gerade dann, wenn alles aus den Fugen gerät, auf ewig zerbrochen und verloren scheint, lässt sich (…) die leise Zusage finden: ‚damit du lebst‘“, fasste die Ordensschwester und Autorin trefflich und sensibel zusammen.
Eine Lesung des Jurymitglieds Carolin Callies aus ihrem Gedichtband „teilchenzoo“ brachte die Anwesenden immer wieder zum Schmunzeln, denn der Poetin gelang es, die Gesetze der Materie mit lebhaften und teils auch heiteren Worten zu beschreiben und so einen lyrischen Zugang zu Naturwissenschaften zu ermöglichen.
Eindringliche Dichte
Die Zuhörenden wurden vom anschließenden Vortrag der Zweitplatzierten wie vom Donner gerührt. Eindringlich las Cornelia Manikowsky ihren Beitrag „dass er auf dem Balkon stand“. Über Seiten hinweg, in einem einzigen Satz ohne Punkt, erzählt der Text die Geschichte einer Auslöschung - Kriegstraumata und das Altern ersticken das Leben und die Erinnerung daran. Der Beitrag, der vom Vergessen handelt, rüttelte im Publikum sichtbar die Erinnerung an selbst Gesehenes und Erlebtes wach: die leeren und mit Sicherheitsnadeln hochgesteckten Hosenbeine von Kriegsversehrten aus dem Zweiten Weltkrieg, die unausgesprochenen familiären und gesellschaftlichen Traumata, das hilflose Schweigen und die zugleich allgegenwärtige Angst, die Generationen überdauert, verdichtete die Autorin in ihrer rund zehnminütigen Lesung. Das, was die Hamburgerin beschreibt, rührte manche der Anwesenden zu Tränen, es schreckte auf und spülte verdeckte Beobachtungen, Erfahrungen und Fragen hoch. „Wie wenig man von den Kriegserfahrungen weiß und wie dieses Wenige ausreicht, um auch als Nachgeborene davon geprägt zu werden“, beschreibt Robert Prosser in seiner Laudatio trefflich, was die Zuhörenden durchfährt.
Welch besonderes und anregendes Glück es ist, Literatur nicht nur selbst zu lesen, sondern ihr zu lauschen, zeigte die Lesung der Hauptpreisträgerin Sarah Roguschke. „Die Anfänge“ heißt ihr Text, der eine rätselhafte Erzählung einer Dystopie ist. Jedes Wort machte klar, dass Korrosion und Unheil uns umgeben und unaufhaltsam fortschreiten. Ein toter Fötus, düstere Beobachtungen im sonnigen Málaga und surreale Wendungen des Plots hielten die Zuhörenden in Atem. Das Publikum erlebte die Ambivalenz von Literatur im Live-Vortrag: da waren einerseits die Worte der Autorin, die mit kraftvoller, fester und tiefer Stimme dem Horror der Zerstörung Gestalt gab. Andererseits stand dort am Rednerpult eine junge Frau, die in ihrer Erscheinung fast elfengleich und zerbrechlich wirkte, mit zart raschelndem Chiffonkleid und freundlichem Lächeln. „Die Autorin hat uns in einer verdüsterten Landschaft unserer Gegenwart abgesetzt“, heißt es in der Begründung der Jury. „Melancholie hat die Sicht auf potentielle Anfänge verdeckt, die im fortlaufenden Sprechen doch wieder auftauchen. Wir haben den Hoffnungsfunken im Titel, nach vielen Sackgassen der Zerstörung, am Ende, als Möglichkeit einer Begegnung, wiedergefunden.“
Die Möglichkeit einer Begegnung zeigte auch der österreichische Autor und Laudator Robert Prosser auf. War es der für bundesdeutsche Ohren stets so freundlich klingende, charakteristische Tiroler Dialekt, oder das vitale, offenbar für die Worte brennende Auftreten des Schriftstellers, das in den Bann zog? Beides zeigte er in Perfektion, als er völlig frei und ohne Manuskript, aber mit Inbrunst und raumgreifend aus seinem jüngsten Werk „Verschwinden in Lawinen“ rezitierte. Eben dieses unvermittelte, persönliche Erleben von Kunst machte die SCIVIAS-Preisverleihung zu einem kulturellen Höhepunkt des Jahres im Haus am Dom in Frankfurt.
Die Preisträgerinnen:
Sarah Roguschke, geboren 1987 im Ruhrgebiet, beschreibt sich selbst als Weltenbummlerin, die sich in den USA, auf Bali, in Marokko, Japan oder in Mexiko mit Inspiration aufgeladen hat. 2022 gewann sie den Hauptpreis für Prosa beim Hildesheimer Literaturwettbewerb, außerdem erschien 2022 ein Text von ihr im Zeitlichkeiten-Magazin. Sarah Roguschke ist bei einer Literaturagentur unter Vertrag.
Cornelia Manikowsky, geboren 1961 in Hamburg, studierte Literaturwissenschaft, Geschichte und Psychologie in Hamburg. Sie arbeitete in einem DFG-Forschungsvorhaben zur Geschichte der Geographie, als Lehrbeauftragte für Literaturwissenschaft an der Universität Hamburg und als freie Seminarleiterin für Literatur, Geschichte und Kreatives Schreiben. Seit 1988 veröffentlicht sie in Anthologien, Zeitungen, Zeitschriften und Literaturzeitschriften. Übersetzungen ihrer Arbeiten gibt es ins Französische (Passage & Co, Marseille) und Koreanische (Hommage, Seoul). Für ihre Arbeiten erhielt sie mehrere Preise und Stipendien. Sie ist Mitglied im PEN-Zentrum Deutschland.
Junge Literatur will mehr als nur ertragen

Viel Neues gibt es Mitte Juni 2022 vom katholischen Literaturpreis SCIVIAS: Die aktuelle Anthologie „Risikogebiet – Was Krisen aus uns machen“ ist bei Herder erschienen, am Mittwochabend wird in einer Bahnhofsviertel-Bar aus dem neuen Buch gelesen – und für den nächsten Wettbewerb 2023 können bereits jetzt Beiträge eingeschickt werden.
Eine Familie zieht in ein altes Haus. Die Eltern renovieren, die Kinder spielen im Garten. Rosige Zeiten, aber dann erscheint ein Jaguar … Im vergangenen Jahr überzeugte Ursula Seeger die Jury des SCIVIAS-Literaturpreises von Katholischer Akademie und Erwachsenenbildung im Bistum Limburg mit ihrem Text „Der Jaguar“. Nun ist die Anthologie zum Wettbewerb bei Herder erschienen.
Das Buch, das wie der Wettbewerb den Titel "Risikogebiet - Was Krisen aus uns machen" trägt, ist mit seinem Motto gerade aktueller denn je. 18 Kurzgeschichten, 18 Perspektiven: Mit jedem Text öffnet sich ein neuer Blick auf die Welt und ihre äußeren wie inneren Risikogebiete. Krisen, Konflikte und Katastrophen werden in den Beiträgen nicht nur individuell erlebt, auch die Versuche, sie zu ertragen oder zu überwinden, könnten unterschiedlicher nicht ausfallen. So öffnen die Geschichten fremde Perspektiven und weiten den Blick auf die Welt.
Wer Texte aus der Anthologie live erleben möchte, kann dies am Mittwoch, 15. Juni, 19.30 Uhr, in der High5 Bar, Weserstraße 37, in Frankfurt tun: In der Bar im Bahnhofsviertel präsentiert Autor Guido Brozek in „Die Heiligen Drei Könige“ einen Junggesellenabschied mit überraschend ernstem Ausgang. Eine Veranstaltung der Reihe „Text sucht Ort“, bei der Beiträge aus der druckfrischen Anthologie an authentische Orte des Geschehens gebracht werden.
Das Buch „Risikogebiet - Was Krisen aus uns machen“, herausgegeben von Simone Husemann und Lisa Straßberger, kostet 20 Euro und ist im Buchhandel sowie online erhältlich. Auch bei der Lesung in der High5 Bar am Mittwochabend gibt es einen Büchertisch.
Übrigens: Die neue Runde des SCIVIAS-Literaturpreises ist bereits gestartet, bis zum 31. Oktober 2022 können unveröffentlichte Kurzgeschichten zum Thema „Zerstören. Die Dinge. Die Sprachen. Die Seelen.“ eingereicht werden. Teilnahmebedingungen und mehr gibt es auf der Webseite des Hauses am Dom.
SCIVIAS-Literaturpreises 2021 geht an Ursula Seeger

Die Entscheidung zum SCIVIAS-Literaturpreis 2021 des Bistums Limburg ist gefallen: Ursula Seeger erhält für ihren Text „Der Jaguar“ den Hauptpreis. Der zweite Platz geht an Angelika Lichteneber mit ihrem Text "Willkommen zuhause".
Eine Familie zieht in ein altes Haus. Die Eltern renovieren, die Kinder spielen im Garten. Rosige Zeiten, aber dann erscheint ein Jaguar … Die Entscheidung zum SCIVIAS-Literaturpreis 2021 von Katholischer Akademie und Diözesanbildungswerk ist gefallen: Ursula Seeger erhält für ihren Text „Der Jaguar“ den Hauptpreis. Ein 2. Preis geht an Angelika Lichteneber mit ihrem Text "Willkommen zuhause". Der Förderpreis wurde diesmal nicht vergeben.
Das Thema des diesjährigen SCIVIAS-Literaturpreises lautete "Risikogebiet - Was Krisen aus uns machen". Der Siegertext greift es auf und setzt es auf überraschende Weise um. Dr. Lisa Straßberger, SCIVIAS-Jurymitglied und Studienleiterin für Literatur bei der Katholischen Akademie, sagt: "Wie das Bedrohliche Gestalt annimmt und trotzdem nicht greifbar wird, wie das Schweigen der Eltern die Kinder isoliert, wie eine Erzählung Zuflucht gewährt, ist so schlicht wie eindringlich erzählt und entlässt die Lesenden mit eigenen Phantasien darüber, was der Jaguar verbirgt."
Auch im Text, der den zweiten Platz erreicht hat, geht es - natürlich - um eine Krise: Die Hauptfigur ist privilegiert. Sie möchte helfen. Sie fährt im fremden Land von Notlage zu Konflikt, von Szenen der Armut zu Szenen der Gewalt. Sie sieht aus dem Fenster. Sie kommt dicht, aber doch nicht zu den Menschen. "Es wird nicht geurteilt über die Möglichkeiten deutscher Hilfsprojekte in Krisengebieten. Es ist nur dieser Blick durch das Fenster, der die Ohnmacht aufsteigen lässt und den Wunsch, kehrtzumachen", so Straßberger.
Die Preisverleihung findet statt am 2. Juli 2021, 18 Uhr. Christian Lehnert, Dichter und Theologe, wird die Laudatio halten. Die Mitglieder der SCIVIAS-Jury sind Carolin Callies, Paul Campbell, Dr. Jakob Johannes Koch, Christian Lehnert und Dr. Lisa Straßberger.